Bei der Untersuchung der Astrozyten kam den Heidelberger Wissenschaftlern ein wenig der Zufall zu Hilfe. Denn für die Zwei-Photonen-Mikroskopie benötigt man eine Substanz, die zum einen ins Innere der Zellen gelangt, zum anderen durch Laserlicht zum Leuchten angeregt wird. „Als wir entdeckten, dass Sulforhodamin 101, ein roter Fluoreszenzfarbstoff, genau diese Eigenschaften besitzt, waren wir schon ein bisschen überrascht“, erzählt der Physiker Fritjof Helmchen.
Denn der auch als „Texas Rot“ bezeichnete Stoff kommt sonst vor allem in der Industrie zum Einsatz, zum Färben von Tinte, Papier und Kunststoffen. „Wir wissen zwar nicht, wie der Transportmechanismus funktioniert, aber Sulforhodamin wird selektiv von Astrozyten aufgenommen, wenn man es in verdünnter Form auf die Hirnoberfläche träufelt“, sagt Helmchen.
Den entscheidenden Schritt hatten die Forscher damit geschafft. Helmchens Team konnte das Objekt seiner Begierde in dem zellulären Wirrwarr des Hirngewebes von Ratten identifizieren. „Richtig spannend wird es aber, wenn man dieses Verfahren mit einer anderen Methode kombiniert – der In-vivo-Anfärbung mit kalziumempfindlichen Fluoreszenzfarbstoffen“, so der Neurophysiologe. Kalzium ist der vielleicht wichtigste Botenstoff im Innern von Zellen. So erhöht sich die intrazelluläre Kalziumkonzentration, wenn bestimmte Moleküle an Rezeptoren auf der Zelloberfläche andocken. Dieses Kalziumsignal stößt dann weitere Prozesse an, etwa die Aktivierung von Enzymen oder die Synthese von Proteinen.
„Dienstmädchen“ kommunizieren und schütten Botenstoffe aus
Die besagten kalziumsensitiven Farbstoffe verändern ihre Fluoreszenzeigenschaften, wenn sie an Kalziumionen binden. Auf diese Weise lassen sich Veränderungen des Kalziumspiegels im Zellinnern per Zwei-Photonen-Mikroskopie sichtbar machen. „Dabei hat sich gezeigt, dass es im Astrozytennetzwerk zu langsamen Oszillationen der intrazellulären Kalziumkonzentration kommt“, sagt Helmchen. Aus diesen wellenartigen Schwankungen schließen die Forscher, dass auch zwischen Gliazellen Signale übertragen werden – allerdings nicht auf elektrischem Wege, wie bei den Neuronen. „Die Erregung der Astrozyten ist eine biochemische“, erklärt der Wissenschaftler weiter. „Die Kalziumwelle breitet sich über kanalartige Zell-Zell-Verbindungen, die gap junctions, oder über extrazelluläre Botenstoffe zu benachbarten Astrozyten aus.“
Im Laufe der vergangenen Jahre fand man heraus, dass die einst als „Dienstmädchen“ verkannten Hirnzellen keineswegs nur untereinander kommunizieren. Astrozyten schütten auch Botenstoffe aus, die ihre Wirkung an Neuronen entfalten, vor allem Glutamat, der wohl wichtigste erregende Neurotransmitter im Gehirn. Helmchen beschreibt die Bedeutung dieser Entdeckung: „Das heißt, dass Astrozyten einen Einfluss auf die neuronale Aktivität haben, sie könnten somit direkt an der Informationsübertragung im Gehirn mitwirken.“
Nervenzellen feuern plötzlich synchron
Tatsächlich gibt es bereits erste Hinweise, dass dieser Mechanismus bei der Epilepsie eine Rolle spielt. Im Gehirn der Betroffenen feuern die Nervenzellen eines begrenzten Bereichs urplötzlich völlig synchron. Diese Erregungswelle breitet sich dann unkontrolliert aus und es kommt zu den krankheitstypischen Krampfanfällen. In enger Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kollegen am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung möchte Helmchen die Beziehungsverhältnisse zwischen Neuronen und Astrozyten weiter aufklären. Auch die Bedeutung dieser Interaktion bei der Entstehung von neurologischen Erkrankungen wird dabei ein Thema sein.
Stand: 26.07.2007