Die Germania mit Koldewey stößt im Sommer 1869 entlang der grönländischen Ostküste bis auf 75° 5′ Nord vor ehe sie vom Eis gestoppt wird. Man beschließt deshalb, in der Nähe von Sabine Island zu überwintern. Nachdem das Schiff winterfest gemacht ist, bestimmen magnetische und astronomische Messungen und Beobachtungen den Tagesablauf der Männer.
Sie unternehmen aber auch zahlreiche Boots- und Schlittenexpeditionen entlang der Küste. Dabei machen sie Bekanntschaft mit Tieren wie Moschusochsen, angriffslustigen Walrossen und Bären, erleben aber auch Naturwunder wie Halos und Nebensonnen und lernen eine schroffe, unberührte Natur kennen.
Ernüchternde Schlittenreise
Am 24. März 1870 brechen Koldewey und sieben Mitglieder der Besatzung zu einer großen Schlittenreise nach Norden auf. Bärenüberfälle, Stürme, Hunger, Durst und Schneeblindheit hindern sie nicht daran, innerhalb von drei Wochen bis auf 77° Nord vorzudringen. Das Ergebnis jedoch ist enttäuschend: Vom offenen Polarmeer haben sie nicht die geringste Spur entdeckt. Missmutig und erschöpft kehren sie um und erreichen am 27. April endlich wieder die Germania.
Es folgen Monate mit allerlei geologischen, topographischen und astronomischen Beobachtungen und Messungen bis schließlich Mitte Juli 1870 das Eis aufbricht. Mit Volldampf voraus stoßen die deutschen Arktisforscher in freudiger Erwartung auf das offene Polarmeer zu finden nach Norden vor. Doch schon nach einigen Tagen kehrt Ernüchterung ein. Die kompakte Eismasse auf 75° 5′ Nord setzt ihrer Suche wieder ein abruptes Ende.
Koldewey beschließt umzukehren und erkundet die grönländische Küste nach Süden hin. Um den 10. August fahren sie schließlich in „einen ungeheuren, mit zahllosen schimmernden Eisbergen bedeckten Fjord“ ein. Sie folgen dem Fjordverlauf und berauschen sich an den immer neuen Naturwundern. Während einer Erkundung unternehmen sie auch eine alpine Bergsteigertour, bei der sie bis auf die sogenannte Payer-Spitze in 2.098 Meter Höhe vordringen. Der höchste Berg in der Region – 2.939 Meter – wird zu Ehren des deutschen Arktisvisionärs schließlich die Petermann-Spitze getauft. Schließlich machen sie sich dann aber doch auf den Heimweg und erreichen am 11. September 1870 wohlbehalten Bremerhaven.
Die Reise der Hansa
Das Schicksal des Schwesterschiffs der Germania, der Hansa, ist weniger glücklich. Zwar gelangt auch die Hansa-Besatzung am 3. September 1870 wieder vollzählig nach Deutschland zurück. Doch das Schiff selber wird beim Versuch möglichst weit polwärts vorzudringen vom Eis eingeschlossen.
Nachdem ein Überwinterungscamp in Form eines Kohlenhauses auf einer Eisscholle angelegt ist, wird die Hansa kurz vor der grönländischen Küste von den Eismassen zerdrückt und sinkt. In letzter Sekunde gelingt es der Besatzung, große Teile der Vorräte in Sicherheit zu bringen. Mehr als 200 Tage verbringt die Besatzung anschließend auf der Scholle und treibt mit dem Eisstrom immer weiter Richtung Süden bis sie in freies Wasser gelangt. Nach vielen Entbehrungen erreichen sie schließlich mit Booten die Missionsstation Friedrichsthal an der Südspitze Grönlands und reisen von dort aus nach Deutschland zurück.
Obwohl der Vorstoß zum Pol bei dieser zweiten deutschen Nordpolarexpedition wieder fehlgeschlagen ist und auch nirgendwo das von Petermann erwartete freie Wasser jenseits des Eisgürtels gefunden werden konnte, bringen die Arktisforscher eine Menge an Forschungsergebnissen mit. Die Expeditionsschrift quillt über von Karten, Verhaltensstudien, Tier- und Landschaftszeichnungen oder Messreihen. Ihre Auswertung dauert Monate, erweitert aber das Wissen über die Arktis erheblich.
Stand: 27.05.2002