Donnerstag, 17. März. In Fukushima bricht der mittlerweile siebte Tag nach dem katastrophalen Erdbeben vor der japanischen Küste an. Seit knapp einer Woche kämpfen Arbeiter in vier Blöcken des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi gegen den drohenden Super-GAU – doch die Erfolgschancen werden von Tag zu Tag geringer. Noch immer liegen die Brennstäbe in den Abklingbecken der Reaktorblöcke 3 und 4 nahezu vollständig trocken und heizen sich weiter auf. Explosionen und Brände haben die Dächer beider Becken zerstört, so dass die hochradioaktiven Uran- und Uran-Plutonium-Stäbe frei der Umwelt ausgesetzt sind. Entsprechend hoch ist die Strahlung, ungeschütztes Arbeiten im direkten Umfeld der Pools ist nahezu unmöglich.
Doch genau dieses Unmögliche ist im Prinzip die einzige Chance, eine drohende Schmelze in den Abklingbecken zu verhindern. „Die höchste Priorität ist es jetzt, ausreichend Wasser auf die Reaktoren 3 und 4 zu schütten, vor allem in ihre Abklingbecken“, erklärt der Sprecher der Atomaufsichtsbehörde NISA, Hidehiko Nishiyama, morgens in Tokio. Weil aber die Arbeiter weder mit Schläuchen noch mit anderen Wasserleitungen in die Nähe der Becken gelangen können, beginnt erneut ein Versuch aus der Luft.
Hubschraubereinsatz mit unklarem Ergebnis
Zwei am Rumpf mit Bleiplatten verkleidete Chinook-Hubschrauber des japanischen Militärs schöpfen mit jeweils einem 7.500 Liter fassenden roten Sack Wasser aus dem Ozean. Mehrfach fliegen sie vom Meer zurück zum Reaktor und leeren ihre Fracht über dem rauchenden Reaktor 3 aus. Doch nach vier Flügen jeweils ist Schluss: Länger als die dafür benötigen zwölf Minuten kann die Aktion nicht dauern, da sonst die Besatzung trotz der Abschirmung und Strahlenschutzanzügen zu hohen Strahlendosen ausgesetzt worden wäre.
Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa erklärt in Tokio: „Wir haben uns entschieden, das heute doch zu tun, weil wir annahmen, dass heute die letzte Chance dazu besteht.” Seiner Ansicht nach hat das Wasser den Reaktor 3 und vor allem das Abklingbecken erreicht, Kraftwerksbetreiber Tepco meldet allerdings, dass die Radioaktivität nach dem Einsatz nicht gesunken sei. Offenbar ist nur ein Bruchteil des Wassers zum Reaktor gelangt. Ein neuer Versuch ist für Freitag geplant. Kitazawa kündigt zudem an, dass elf Löschflugzeuge des Militärs zur Atomanlage unterwegs seien.
Parallel zu den verzweifelten Bemühungen, irgendwie Wasser in die Abklingbecken zu bekommen, arbeitet Tepco daran, die Stromversorgung der Anlage wieder aufzubauen. Mitarbeiter des Konzerns versuchen fieberhaft, Stromleitungen von außen an die Anlagen heranzuführen, um so vielleicht wenigstens in den Blöcken 1 und 2 das Notkühlsystem wieder anwerfen zu können. Zudem ist geplant, temporäre Stromaggregate auf dem Kraftwerksgelände selbst aufzubauen. Das allerdings kann nur in einem Areal mit noch relativ niedriger Strahlungsbelastung geschehen. Bis zum Abend sind diese Bemühungen jedoch nicht abgeschlossen.
Versuch per Wasserwerfer
19:45 Uhr Ortszeit, Fukushima. Im Laufe des Nachmittags sind Wasserwerfer der japanischen Polizei am Kraftwerk eingetroffen, um den bereits mehrfach in Brand geratenen Abklingpool des Blocks 4 zu füllen. Die Aktion muss jedoch frühzeitig abgebrochen werden, da die Wasserwerfer wegen der hohen Strahlung nicht nahe genug mit ihrem Strahl an das Abklingbecken herankommen. Nahezu gleichzeitig ist auch das japanische Militär mit fünf Spezial-Pumpfahrzeugen an den Blöcken 3 und 4 angekommen. Ihnen gelingt es, insgesamt 30 Tonnen Wasser über den Reaktoren zu versprühen. Obwohl der Wasserstand im Abklingbecken 4 als kritisch gilt, lässt Tepco den Hauptanteil des Wassers in den rauchenden Reaktor 3 pumpen, wo das Kühlwasser bereits kocht.
In den Abendnachrichten des Senders NHK heißt es dazu: „Weil diese Fahrzeuge besonders ausgerüstet sind, ließ sich diese Operation ausführen, ohne das die Besatzung die Trucks verlassen musste.“ Offenbar ist die Reichweite des Wasserstrahls deutlich höher als bei den Polizeiwasserwerfern. Ob mit dieser Maßnahme der Wasserstand in den Abklingbecken erhöht werden konnte, bleibt allerdings unklar. „Der Effekt dieser Operation wird noch evaluiert“, so NHK.
Auch am Ende des siebten Tages nach Beginn der Katastrophe ist keine unmittelbare Entwarnung in Sicht. Für die Japaner bedeutet dies: Eine weitere Nacht bangen Wartens und Hoffens, eine weitere Nacht der Ungewissheit…
Nadja Podbregar
Stand: 18.03.2011