Ein Spiel dauert 90 Minuten: Dies wurde die Trainerlegende Sepp Herberger Zeit seines Lebens nicht müde zu betonen. Oder doch nicht? Ja und nein. Offiziell hat sich daran nichts verändert. Aber immer häufiger signalisieren Helfer am Spielfeldrand kurz vor Schluss auf einer elektronischen Tafel umfangreiche Nachspielzeiten. Eine, zwei, drei Minuten oder mehr sind dabei keine Ausnahme, sondern längst die Regel – wahrscheinlich auch bei der WM in Südafrika. Schuld daran sind längere Verletzungspausen oder absichtliche Spielverzögerungen, die die Schiedsrichter so ausgleichen wollen.
Nettospielzeit geringer als gedacht
Unterbrechungen wie Einwürfe oder Eckbälle sind aber nicht nur dafür verantwortlich, dass die Spiele immer länger dauern, sondern sie verringern zugleich auch die Netto-Spielzeit. Und zwar enorm, wie Wissenschaftler der Universität Augsburg um Professor Martin Lames, Claudia Augste und Marcel Baur im Mai 2008 festgestellt haben: Gerade mal 55 Minuten rollte der Ball beispielsweise während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland durchschnittlich in jedem Match. Knapp 14 Minuten Zeit kosteten allein die durchschnittlich 39,2 Fouls inklusive der fälligen Freistöße. Insgesamt registrierten die Forscher 117 Unterbrechungen – pro Spiel.
Wissenschaftler bestätigen Zuschauerempfinden
„So ist nun einmal die Struktur des modernen Fußballs, der uns trotzdem alle in seinen Bann zieht.“, fasst Lames die Ergebnisse zusammen. Er und seine Kollegen betreiben die Zeitmesserei aber nicht aus Selbstzweck. Sie wollen daraus konkrete Erkenntnisse für die Fußballpraxis ableiten. Wie fit muss ein Spieler sein, um die Anforderungen des modernen Fußballs zu erfüllen? Welche Rolle spielen Freistöße oder Einwürfe als taktisches Mittel? Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich die Forscher beschäftigen. Sie haben sogar bereits erste Ergebnisse vorzuweisen.
„Besonders die Torhüter zeigen ein ausgeprägtes Zeitgefühl“, so Lames. „Während ein Abstoß bei Rückstand in der letzten Viertelstunde gerade mal zwölf Sekunden beansprucht, findet man bei Vorsprung den doppelten Wert.“ Und auch an der Zeit, die Spieler für einen Einwurf brauchen, kann man laut Lames erkennen, ob die eigene Mannschaft in Führung liegt oder nicht. Eine Überraschung sind diese Resultate für echte Fans allerdings nicht. Aber immerhin konnten die Forscher jetzt erstmals das offenkundige Phänomen mit konkreten Zahlen und Fakten untermauern.
Dieter Lohmann
Stand: 11.06.2010