Phänomene

Kinderstube für Hochseefische

Bodenschleppnetze bedrohen Korallengärten

Ein Lumb zwischen Kaltwasserkorallen im Stjernsund vor Norwegens Küste © K.Hissmann (IFM-Geomar)

Ob Krebse, Muscheln, Schwämme oder Schnecken – die Kaltwasserriffe sind Anlaufstelle für zahlreiche Meerestiere. Wie in einer Oase in der Wüste wimmelt es hier nur so vor Leben. Wissenschaftler konnten bislang mehr als 1.000 verschiedene Arten registrieren, welche die Korallengärten als Nahrungs-, Brut- oder Fortpflanzungsrevier nutzen. Auch wenn das vollständige Arteninventar noch im Dunkeln liegt und sich auch je nach Region unterscheidet, scheinen die Kaltwasserkorallen doch als regelrechtes Verteilzentrum für Meeresorganismen zu dienen.

Fische im Überfluss

„Bei den Tauchgängen mit JAGO fiel zudem stets der Fischreichtum innerhalb der Korallenareale auf“, fügt Freiwald hinzu. Kabeljau, Rotbarsch und Seelachs scheinen sich an den Hängen und Schluchten der Riffe richtig wohl zu fühlen. „Einige Fische wie beispielsweise der Lumb, zeigen ein ausgeprägtes Territorialverhalten und „bewachten“ größere Korallenkolonien“, weiß Freiwald zu berichten. „Wir fanden auch viele Eigelege von Fischen und Kopffüßern in den Riffgebieten. Obgleich es zurzeit noch schwer zu quantifizieren ist, verdichten sich die Hinweise zur Bedeutung der Riffe als Kinderstube für viele Arten.“

Frosch der neotropischen Art Agalychnis lemur © Senckenberg

Doch möglicherweise gehören diese uralten tierischen „Wohngebiete“ schon bald der Vergangenheit an. Denn Meeresverschmutzung und die Hochseefischerei mit ihren schweren Schleppnetzen haben den Kaltwasserriffen bereits schwer zugesetzt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Riffgebiete im Einzugsgebiet der klassischen Hochseefischerei liegen“, erklärt Freiwald die potenzielle Bedrohung der Riffe. So werden etwa seit zwanzig Jahren in der Hochseefischerei zunehmend Bodenschleppnetze eingesetzt. Diese reichen bis in eine Tiefe von 1.500 Metern und pflügen auf ihrer Suche nach Beute den Meeresboden regelrecht um. Wuchtige Rollen und Metallschilde beschweren die fast fußballfeldbreiten Netze und hinterlassen tiefe Spuren am Boden.

Tiefe Narben im Riff

Vorschläge für Kaltwasserkorallen-Schutzgebiete - einige wie die Darwin Mounds sowie vor der Küste Norwegens und Irlands konnten inzwischen verwirklicht werden. © Stephan Lutter, WWF

Besonders gut dokumentiert sind diese Schäden an den Darwin Mounds, ungefähr 200 Meilen nordwestlich vor Schottland gelegen. Bereits im Jahr 1998 hatten Sonaraufnahmen und Fotos schwere Schäden an den dortigen Riffen gezeigt. Tiefe Furchen zogen sich wie Narben durch geborstene Korallen und zeigten die Zugbahnen der Schleppnetze an. Rund ein Drittel der riffbildenden Hartkorallen war zu diesem Zeitpunkt bereits zerstört. Durch intensive Bemühungen auf politischer Ebene sind die Darwin Mounds inzwischen jedoch für die Bodenschleppnetzfischerei gesperrt. Damit wurde ein Präzendenzfall geschaffen, denn zum ersten Mal konnte ein Seegebiet innerhalb der europäischen 200 Meilen Zone als Schutzzone ausgewiesen werden.

Doch noch herrscht Unklarheit über die wahre Bedrohung der Korallenriffe. Schätzungen norwegischer Forscher gehen allerdings davon aus, dass womöglich die Hälfte aller nordatlantischen Korallenriffe bereits durch Schleppnetze beschädigt wurde. So hoffen denn auch die Wissenschaftler des Forschungsprojekts HERMES, die Rolle der Kaltwasserriffe als Lebensraum für Fischpopulationen in den nächsten Jahren klären zu können. „Die EU-Kommission unterstützt die Forschungen und erwartet daher von uns Wissenschaftlern detaillierte Angaben über geschädigte Rifflokationen und vor allem Vorschläge zur Vermeidung weiterer Riffzerstörungen“, macht Freiwald die Dringlichkeit der Forschungsarbeiten deutlich. Erst dann ist wohl vermutlich auch mit stärkeren Schutzbemühungen zu rechnen.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. 7
  16. |
  17. 8
  18. |
  19. weiter


Stand: 07.07.2006

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Kaltwasserkorallen
Das „Great Barrier Reef“ des Nordens

Leben im Dunkel
Eine Tauchfahrt in die Tiefe

Überraschung am Meeresgrund
Korallenriffe im Nirgendwo

Überleben im Alleingang
Ernährungsstrategien unter Wasser

Kinderstube für Hochseefische
Bodenschleppnetze bedrohen Korallengärten

Osteoporose in der Tiefe
Übersäuerung der Meere löst Korallenriffe auf

Korallensterben durch Sahara-Staub?
Interview über eine Forschungsfahrt

Korallen-Steckbrief
Die wichtigsten Arten im Überblick

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

News zum Thema

Was blüht denn da?
Wildwachsende Blütenpflanzen Mitteleuropas Von Roland Spohn, Margot Spohn, Dietmar Aichele

Korallen können “umschalten”
Skelettzusammensetzung an chemische Zusammensetzung des Meerwassers angepasst

JAGO taucht auf
IFM-GEOMAR stellt Forschungstauchboot vor

Mit High-Tech in die Tiefsee
Forscher untersuchen wimmelndes Leben am Meeresboden des Nordatlantiks

Riffe im Nordmeer
Von Korallenwächtern und Kinderstuben

Tauchfahrt in Europas Unterwasserreich
HERMES untersucht Kontinentalränder

Korallen im Nordmeer bedroht
Expedition zu den Kaltwasserriffen

Europäisches „Great Barrier Reef“ gerettet
Etappenerfolg im Schutz europäischer Kaltwasserkorallen

Dossiers zum Thema