Alexander von Humboldts Zeit in Paris neigt sich 1827 dem Ende zu. Einerseits strebt er ohnehin nach einer neuen Aufgabe und andererseits geht langsam sein privates Vermögen zur Neige. Eigentlich will er nach Südasien reisen, aber er bekommt weder die Erlaubnis des britischen Königshauses, noch findet er Geldgeber für die Expedition. Im April kehrt er auf Drängen Friedrich Wilhelms III. nach Berlin zurück, der ihn zum Kammerherrn ernennt. Als solcher muss Humboldt den König auf Reisen nach London, Verona und Paris als Berater und Repräsentant der Wissenschaften begleiten.
Gerade als Humboldt sich mit dem Scheitern seiner Expedition abfinden will und bereits Vorträge an der Berliner Universität hält, ergibt sich eine Gelegenheit zumindest Zentralasien zu bereisen. Auf Empfehlung von Friedrich Wilhelm III. lädt ihn Zar Nikolaus ein, auf seine Kosten den Ural und den Altai zu erforschen. Humboldt zögert. Einerseits kann er seinen Traum von der Erkundung Asiens annähernd verwirklichen und wahrscheinlich sogar bis nach China vordringen. Andererseits stellt ihm der Zar hohe Auflagen: Humboldt darf sich zwar seine Begleiter frei aussuchen, aber seine Reise wird von Offiziellen überwacht und er hat nur begrenztes Mitspracherecht bei der Reiseroute. Schließlich geht er die Kompromisse ein, um seine wissenschaftlichen Untersuchungen vervollständigen zu können und dem Ziel eines ganzheitlichen Weltbildes näher zu kommen.
Aufbruch nach Osten
Im April 1829 bricht Alexander von Humboldt dann zu seiner zweiten großen Expedition auf. Den 60-Jährigen begleiten der Mineraloge Gustav Rose und der Mediziner und Zoologe Christian Gottfried Ehrenberg. Humboldt erhofft sich durch die Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen fächerübergreifende Ergebnisse, die sie nach der Reise zusammenführen können. Nicht nur durch die Gesellschaft unterscheidet sich die Reise von der amerikanischen. Auch wenn die Pferdekutschen oft im geschmolzenen Permafrost stecken bleiben, sind sie doch viel bequemer als vor einigen Jahren die Kanus auf dem Orinoko.
Im Juni 1829 erreichen die Forscher den Ural, wo Humboldt begeistert die Vielfalt der Mineralien untersucht. Er studiert den erfolgreichen Bergbau und die Verarbeitung von Metallen. Russland ist zu dieser Zeit führend in der Gold- und Silberproduktion. Auf Wunsch des Zaren sucht Humboldt vor allem nach Diamantenvorkommen im Ural. Seine landschaftlichen Beobachtungen und Gesteinsanalysen führen 1829 in der Goldmine Krestowosdwischenskoje im Gebiet Perm zu dem ersten Diamantenfund außerhalb der Tropen. Auf Basis der gemeinsamen Messungen mit Rose veröffentlicht Humboldt später die erste wissenschaftliche Beschreibung dieser Region „Das System der Berge des Ural“ und Roses Werk über die Mineralogie des Ural werden in Russland zu einem einschlägigen Standardwerk. Humboldts Untersuchungen zu den Vulkanen Zentralasiens und dem Erdmagnetismus erscheinen als Aufsätze bereits 1830.
Der Altai
„Die eigentliche Freude einer asiatischen Reise hat uns doch erst der Altai verschafft“, gesteht Humboldt in einem Brief an seinen Bruder. Humboldt und seine Begleiter reisen durch das östliche Gebirge bis zur damaligen chinesischen Grenze. Sie besuchen eine durch Silberabbau aufblühende Region. Humboldt bewundert in der Stadt Barnaul die Promenaden und Boulevards mit Künstlern und Wissenschaftlern „so weit im Osten als Caracas im Westen von Berlin!“.
Die räumlichen Dimensionen der Expedition sind unvorstellbar. In nur neun Monaten legt Humboldt fast 19.000 Kilometer mit Hilfe von mehr als 12.000 Pferden zurück. Zwar ist er beeindruckt von der organisatorischen Leistung und der Zivilisation bis weit hinter den Ural, aber fast wehmütig stellt er in seinem Tagebuch fest: „Mein Werk wird keinen der Reize darbieten können, welche zuweilen noch die Erzählungen des Reisenden besitzt, wiewohl in unserer Zeit selbst die fernsten Regionen leichter zugänglich geworden sind“.