Die Zeit im Mutterleib ist für unsere spätere Entwicklung und vor allem für die Gesundheit prägend. Weil Organe, Immunsystem und vor allem das Gehirn in dieser Zeit erst heranreift, können schon kleine Einflüsse bleibende Spuren hinterlassen. Sie können aber auch erklären, warum Zwillinge oft weniger gleich sind als man vermuten würde.
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Unfreiwillig mitbelastet
Eng verbunden mit dem Organismus der Mutter bekommt das Ungeborene alles mit, was auch die Mutter bewegt oder sie belastet – ob es nun will oder nicht. Dass drastische Einflüsse wie das Rauchen oder Alkohol den Fötus bleibend schädigen können, ist schon lange bekannt. Auch Stress der Mutter überträgt sich auf das Kind.
In letzter Zeit mehren sich aber auch die Hinweise darauf, dass selbst subtilere Umwelteinflüsse sich prägend auf das Ungeborene auswirken. So scheint eine Belastung mit Weichmachern während der Schwangerschaft das spätere Asthma-Risiko des Kindes zu erhöhen, Pestizide stören die Hirnentwicklung und könnten möglicherweise sogar Autismus fördern. Und sogar die Jahreszeit und der Zeitpunkt der Geburt spielen eine Rolle dafür, wie sich das Kind später entwickeln wird.
Das Rätsel der Zwillinge
Und noch etwas weiß man inzwischen: Im Mutterleib geht es weitaus weniger einheitlich zu als man bisher dachte. Sogar eineiige Zwillinge, die das gleiche Erbgut tragen und zudem noch neun Monate gemeinsam im Mutterleib verbringen, sind deshalb schon nach der Geburt alles andere als identische Klone. So ist vielleicht bei einem Geschwister das Gesicht ein wenig runder, das andere spitzt auf typische Weise die Lippen. Oft erweist sich ein Zwilling auch im Verhalten schon früh als mutiger und extrovertierter, der andere ist eher sensibler und stiller.
Aber warum? Wie kommt es, dass genetisch identische Wesen schon kurz nach der Geburt unterschiedlich sind? Den entscheidenden Hinweis erhielten Forscher vor einigen Jahren, als sie Nabelschnurblut, Plazentaproben und das Blut von insgesamt 66 neugeborenen ein- und zweieiigen Zwillingen untersuchten. Sie analysierten dabei die Epigenetik – die Anlagerungen am Erbgut, die beeinflussen, welche Gene abgelesen werden können und welche blockiert und damit ausgeschaltet sind.
Und siehe da: Selbst bei den frisch geborenen eineiigen Zwillingen fanden die Forscher erhebliche epigenetische Unterschiede. Je nach Erbgut-Region gab es bis zu 20 Prozent Differenzen. Das belegt, dass selbst die gemeinsame Zeit im Mutterleib auf die beiden Zwillinge ganz verschieden wirken kann. So ist einer von beiden vielleicht stärker eingeengt, bekommt über seine Nabelschnur weniger Blut oder ist kleiner. Solche geringen Unterschiede können schon ausreichen, um die Geschwister und ihre Merkmale nachhaltig zu prägen.
Nadja Podbregar
Stand: 13.05.2016