Mit seiner Fülle an Algen und anderen pflanzlichen Organismen bietet das Meereis unzähligen höheren tierischen Organismen einen reich gedeckten Tisch. Vor allem wenn das Eis im Sommer schmilzt und die bis dahin eingeschlossenen Lebewesen freigesetzt werden, hat es eine starke Anziehungskraft für andere Tiere.
Dem Ökosystem Meereis gehören eine Vielzahl Organismen an: Ciliaten (Wimperntierchen) spazieren die Wände der Laugenkanäle entlang, Nematoden (Fadenwürmer) schlängeln sich durch die engen Röhren und Turbellarien (Strudelwürmer) winden sich durch die Poren. Weiterhin wird das Eis von Rotatorien (Rädertierchen), Polychaeten (Borstenwürmern), Copepoden (Ruderfußkrebsen), Amphipoden (Flohkrebsen) und Nudibranchiern (Nacktschnecken) besiedelt. Dabei kommt nicht jede Gruppe an beiden Polen vor: während die Strudelwürmer bisher nur im arktischen Meereis gefunden wurden, ist die Existenz der Nacktschnecken bisher nur aus dem Südpolarmeereis gesichert.
Die Ruderfußkrebse beispielsweise ernähren sich von Phytoplankton und sind selber Hauptnahrung des Krill. Biologen nehmen an, dass sie – von allen mit bloßem Auge sichtbaren Lebewesen – den größten Teil der weltweiten Biomasse ausmachen. Im Meereis bewegen sie sich durch die kleinen Kanäle, immer auf der Suche nach Nahrung. Im Meer schweben sie durchs Wasser, indem sie ihre langen Fühler wie Fallschirme benutzen und so nicht absinken.
Ruderfußkrebse haben eine erstaunliche Art der Fortbewegung im Wasser entwickelt: werden sie bedroht, legen sie die langen Antennen an den Körper an und katapultieren sich mit einem noch nicht genau verstandenen Mechanismus mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 200 Körperlängen pro Sekunde durch das Wasser. In dieser Phase bewegen sie sich so schnell, dass sie von den meisten Fischen nicht mehr wahrgenommen werden können, da das Auflösungsvermögen der Fischaugen zu gering ist.
Ein weiteres wichtiges Mitglied der Nahrungskette im Polarmeer ist aber auch der antarktische Krill (Euphausia superba). Diese Leuchtgarnelen sammeln sich im Sommer in riesigen Schwärmen und sind die Nahrungsgrundlage für Robben, Pinguine und Wale. Mit ihren Beinen filtern sie selbst die pflanzlichen Bestandteile des Planktons aus dem Wasser.
Lange Zeit wussten die Forscher nicht, wo sich diese Schwärme im Winter, wenn es kaum Algen im Wasser gibt, aufhalten. Die Garnelen sammeln sich dann direkt unter dem Packeis, wo sie die Algen an der Eisunterseite abweiden und sogar in der Lage sind, mit ihren Extremitäten die kleinen Lebewesen aus dem Eis herauszukratzen. Das Meereis bietet nicht nur Nahrung, sondern auch Schutz. Besonders der junge Krill zieht sich vor seinen Feinden in die zahlreichen Risse und Löcher zurück.
Es gibt sogar Fische, die eng mit dem Meereis assoziiert sind. Sie leben zwar nicht darin, weil sie viel zu groß sind, halten sich aber direkt darunter auf. Das Eis bietet ihnen Schutz und Nahrung. Der arktische Polardorsch (Boreogadus saida) zum Beispiel ist in den ersten beiden Lebensjahren ein ständiger Begleiter der Eisunterseite. Hier ernährt er sich von Flohkrebsen, die aus dem Eis herausschauen und auch der Krill wird nicht verschmäht. Ab dem dritten Lebensjahr wandert der Polardorsch dann in tiefere Gewässer ab.
Der Polarfisch Pagothenia borchgrevinki ist eine kälteliebende Dorschart, die ständig eisassoziiert lebt. Er hält sich ebenfalls an der Eisunterseite auf und lebt von Copepoden und Krill. Seine Verbreitung beschränkt sich auf das Südpolarmeer, er ist dort rund um den gesamten antarktischen Kontinent zu finden. Um den tiefen Temperaturen zu trotzen, bilden diese Polarfische in ihrer Leber ein Gefrierschutzmittel. Es besteht aus Glykopeptiden, die sich an entstehende Eiskristalle heften und deren weiteres Wachstum bremsen. Auf diese Weise trotzt Pagothenia Temperaturen bis minus 2,7 Grad Celsius. Die Eisfische haben aber auch deutlich weniger Hämoglobin in ihrem Blut. Auf diese Weise bleibt das Blut flüssiger und ist bei Minusgraden leichter durch die Gefäße zu pumpen.
Stand: 27.12.2000