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Fast vier Milliarden Menschen sind von gewalttätigen Konflikten als Folge des Klimawandels bedroht. Mit dieser These sorgte kürzlich eine Studie der britischen Antikriegs-Initiative „International Alert“ für Aufsehen. Ein hohes Risiko bewaffneter Auseinandersetzungen verursacht durch wirtschaftliche, soziale oder politische Probleme sehen die Experten in 46 Staaten, in weitern 56 Ländern seien politische Konflikte, ausgelöst durch den Klimawandel, wahrscheinlich.
Verschärfung bestehender Konflikte
Nicht neu sind die potenziellen Problemfelder, die der Klimawandel mit sich bringen wird: Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser steht in vielen Regionen in Frage. Dagegen wird ein vorübergehend verstärktes Abschmelzen der Gletscher zum Anstieg des Meeresspiegels und zu Überschwemmungen führen. Zudem muss sich die Landnutzung in vielen Regionen ändern, weil in dem einen Gebiet nicht ausreichend Niederschläge fallen, in der anderen jedoch die Wachstumsbedingungen günstiger werden. Der Klimawandel wird nach Meinung der Friedensforscher auch in den Entwicklungsländern zu einem Anstieg des Energieverbrauchs führen. Durch höhere Temperaturen und verstärkte Niederschläge steigt darüberhinaus die Gefahr von Epidemien wie Cholera oder Malaria.
Von den regionalen Auswirkungen des Klimawandels wie Meeresspiegelanstieg, Stürme, oder Hochwässer betroffen, werden die Menschen in riesigen Migrationsströmen in andere Gegenden ziehen und sich den Lebensraum gegenseitig streitig machen, so „International Alert“. Bereits heute leiden mehr als 430 Millionen Menschen unter Wasserknappheit – Tendenz stark steigend. Da Wasser auch zum Anbau von Getreide nötig ist, steht langfristig auch die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Frage. Zunehmende Dürren und Desertifikation, Wüstenbildung, zeichnen sich heute vor allem bereits in Nordafrika, dem Nahen Osten, Zentralasien oder Australien ab.
Ressourcenknappheit als Wurzel
Beunruhigender Schluss der britischen Studie: „Humanitäre Hilfe kann kurzfristig Lücken füllen, beseitigt aber nicht eine grundlegende Nahrungsmittel-Unsicherheit.“ Damit seien Abwanderungen und Konflikte unvermeidlich, denn Menschen wollen dem Hunger entgehen.
Die Studie führt auch bereits bestehende Konflikte auf ähnliche Zusammenhänge zurück. So beruhe der Krieg in Darfur im Sudan nicht nur auf ethnischen Differenzen zwischen Arabern und Afrikanern. Auch hier spielten Unklarheiten über die Verteilung und Nutzung von immer knapper werdendem Weideland, den Besitz von Vieh und die Aufteilung des Wassers zwischen verschiedenen Hirten eine Rolle. Hinzu kämen die Auswirkungen einer 20-jährigen Dürre.
Nach Ansicht der Experten sind vor allem Südasien, Afrika und Europa in Zukunft von Konflikten durch den Klimawandel bedroht. Allein in Indien, wo mehr als 400 Millionen Menschen nur vom Wasser des Ganges-Fluss-Systems abhängig sind, besteht ein riesiges Konfliktpotential. Dass solche Prognosen kein reines Horror-Szenario sind, bestätigt auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). In seinem Gutachten vom November 2007 bezeichnet der Beirat den Klimawandel als „neue sicherheitspolitische Herausforderung.“
Viele Gesellschaften könnten mit der nötigen Anpassung an den Klimawandel überfordert sein und „daraus könnten Gewalt und Destabilisierung erwachsen, die die nationale und internationale Sicherheit in einem bisher unbekannten Ausmaß bedrohen.“ Die regionalen Brennpunkte sieht die WBGU-Studie in Nordafrika, in der Sahelzone und im südlichen Afrika, in Zentralasien, Indien, Pakistan und Bangladesch, in China, in der Karibik und im Golf von Mexiko sowie in der Andenregion und in Amazonien.
Klassische Sicherheitspolitik hat ausgedient
Und sie benennt die größten sicherheitspolitischen Risiken des Klimawandels. So werde die Zahl der fragilen Staaten zunehmen, es werde mehr Verteilungskonflikte zwischen Hauptverursachern und Betroffenen geben. Und Menschenrechte seien ebenso gefährdet wie die wirtschaftliche Entwicklung. Das Fazit: Klassische Sicherheitspolitik greife nicht mehr.
Trotz dieser Voraussagen sieht der Beirat aber auch positive Potenziale, die sich aus dem Klimawandel ergeben könnten. „Er könnte die Staatengemeinschaft auch zusammenführen, wenn sie ihn als Menschheitsbedrohung versteht und in den kommenden Jahren durch eine energische und weltweit abgestimmte Klimapolitik die Weichen für die Vermeidung eines gefährlichen anthropogenen Klimawandels stellt.“
Stand: 09.05.2008