Nur ein schmaler Sonnenstreifen erreicht an dem Morgen das Wasser, da die Hänge der Insel Mecherchar den See wie eine Schüssel umgeben. Mit seiner spiegelglatten Oberfläche sieht der dunkle See nahezu wie ein europäischer Bergsee aus – doch es ist ein Salzwassersee. Vielleicht ein paar Hundert Meter vom Meer der Lagune entfernt liegt hier eines der ungewöhnlichsten und zugleich berühmtesten Ökosysteme Palaus: der Jellyfish-Lake Ongeim'l Tketau.
Plötzlich taucht der berühmteste Bewohner des Sees auf und sonnt sich wenige Zentimeter unter der Oberfläche. Eine helle goldene Qualle, unter deren Oberkörper die langen Tentakel baumeln. Schon bei der kleinsten Berührung geben Quallen über ihre Tentakel Nesselgift ab, das ihre Opfer lähmen und Angreifer abwehren soll. So kann etwa das Gift der blauen Box-Qualle in Australien beim Menschen Hautverbrennungen und Blutvergiftungen hervorrufen.

Doch der Ruhm der einheimischen Qualle gründet auf dem Gegenteil: Sie ist ungiftig – und damit eines der besten Beispiele für die Evolution einer endemischen Art. Denn früher gehörte diese Quallenart noch zu der Familie der Mastigias Papua, die sich wie alle anderen Quallen mit giftigen Tentakeln schützen. Doch nach jahrtausendelanger Evolution in der Isolation eines vom Meer abgetrennten Salzwassersees haben sich die Quallen ihrer Umwelt angepasst: Der Mangel an natürlichen Feinden hat ihre Tentakel „stumpf“ werden lassen.
Ein Persönlichkeitswandel mit Folgen
Bis heute sind sich die Biologen nicht einig darüber, ob die Quallen aufgehört haben, das Nesselgift zu produzieren oder sich sogar die gefährlichen Nematocysten-Zellen als Ganzes drastisch reduziert haben. Sicher ist, dass sich durch die Veränderung eine neue Unterart entwickelt hat, die seither Mastigias Medusae genannt wird.