Die Analogie der Computerviren zu biologischen Viren kommt bis dato nur teilweise zum Tragen. Ein Hauptgrund liegt darin, dass Computerviren fast durchweg absichtsvoll von menschlicher Hand erzeugt werden und nicht in der Lage sind, zu „mutieren“. Zwar können sogenannte polymorphe Viren automatisch ihre Gestalt von Generation zu Generation ändern, so dass zahlreiche, teilweise vollkommen verschiedene Varianten entstehen. Aber auch ihre Veränderung ist vom Programmierer bestimmt.
Die derzeitigen technologischen Entwicklungen im IT-Bereich könnten jedoch zu einem Paradigmenwechsel führen.
Bit-Flips – Mutationen im Programm
Allgemein werden Computer als deterministische Maschinen vorausgesetzt: Zu jedem Zeitpunkt ergibt sich der Folgeschritt des ausgeführten Programms eindeutig aus den Eingabedaten und dem zugrundeliegenden Algorithmus. Der Computer, der nur 0 und 1 „versteht“, hat keinen freien Willen, mit dem er einen Flüchtigkeits- oder Denkfehler begehen könnte.
Was aber passiert, wenn der Rechner aufgrund externer Bedingungen, zum Beispiel der kosmischen Strahlung, immer wieder zufällig von 0 nach 1 oder von 1 nach 0 schaltet? Die zunehmende Dichte der integrierten Schaltkreise, auf denen Computer basieren, macht solche Fehler – „Bit Flips“ genannt – immer wahrscheinlicher.
Evolution der Viren
Auch wenn Maßnahmen getroffen werden können, die bis zu einem gewissen Grad eine Fehlertoleranz ermöglichen, scheint die Ära des Rechners als deterministische Instanz Schritt für Schritt zu Ende zu gehen. Zwar sind solche Überlegungen noch sehr spekulativ, dennoch ist vorstellbar, welche Auswirkungen Computer mit stochastischen Eigenschaften auf die Entstehung und mögliche Zerstörung von Viren haben könnten.
Insbesondere angesichts der ungeheuren Rechenleistung heutiger Supercomputer rückt die Vision näher, dass sich Computerviren durch Mutationen, die das zufällige Verhalten des Rechners hervorruft, „evolutionär“ entwickeln werden.
Vincent Heuveline, Universität Heidelberg/ Ruperto Carola
Stand: 10.06.2016