Dioskurides „De Materia Medica“ wird unzählige Male kopiert und verbreitet, das macht es so erfolgreich. In zahllosen, immer wieder neuen Bearbeitungen und Übersetzungen auf arabisch, persisch, syrisch, hebräisch oder lateinisch behauptet sich das Werk bis ins 16. Jahrhundert hinein als grundlegendes Lehrbuch für die Beschäftigung mit Medikamenten aus der Welt der Pflanzen, der Tiere, der Mineralien, Metalle und Erden. Vor allem im arabisch-islamischen Kulturkreis gelangt die „De Materia Medica“ zu großem Ansehen. Sie findet aber durchaus auch in der westlichen Klostermedizin Beachtung.
Prachtvolle Illustrationen
Einen großen Anteil an der Strahlkraft des Werkes haben die bald hinzugefügten Abbildungen: „Dioskurides Werk ist relativ schnell bebildert worden, das ist bei antiken Texten nicht häufig der Fall“, erläutert Christian Schulze, Privatdozent für Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum. „Für die praktische Anwendung waren diese Abbildungen natürlich äußerst hilfreich.“
Die wohl berühmteste und gleichzeitig älteste überlieferte Abschrift mit Bebilderung ist der Wiener Dioskurides aus dem sechsten Jahrhundert, ein Geschenk für die byzantinische Kaisertochter Iuliana Anikia. Pflanzenbilder und zoologische Illustrationen machen die Handschrift, die heute in der Österreichischen Nationalbibliothek liegt, zu einem prachtvollen Kunstwerk. Zahlreiche Randbemerkungen am Text zeugen davon, dass die Wiener Dioskurides-Abschrift nach ihrer Entstehung jahrhundertelang weiter benutzt wurde.
Ablösung des großen Werkes
Dioskurides bleibt den Pharmazeuten – und übrigens auch den Botanikern – lange ein wichtiger Bezugspunkt. Je intensiver und systematischer jedoch andere Autoren die heimischen Floren erforschen, je besser man auch die Mikrostrukturen der Pflanzen erfassen kann und je mehr sich neue medizinische Lehren durchsetzen, desto entbehrlicher wird das große Werk des Arztes.
Schon ab dem 15. Jahrhundert etabliert sich mit dem Mediziner Paracelsus die Chemiatrie. Vorgänge im menschlichen Körper und medizinische Wirkweisen werden nun chemisch-physiologisch erklärt. Die Pharmazie erfährt eine bahnbrechende Umstellung auf chemische Grundlagen: Statt Kräuteraufgüssen werden nun zum Beispiel gezielt gewonnene Auszüge oder Extrakte der Pflanzen verwendet.
Spätestens mit dem Aufstieg der organischen Chemie im 19. Jahrhundert tritt die klassische Pflanzenheilkunde in der Tradition von Dioskurides vollständig in den Hintergrund. Es entstehen Unternehmen wie Bayer, Merck und Merz, die chemisch klar definierte Wirkstoffe für die Arzneimittelherstellung einsetzen.
Daniela Albat
Stand: 18.03.2016