Astronomie/Kosmologie

Kosmische Ursuppe und Bettlaken-Raumzeit

Gravitation, Quark-Gluon-Plasma und Einstein

Neutronensternkollisionen sind ein wichtiger Schlüssel, um zu verstehen, wie sich Materie unter extremen Bedingungen verhält und wie die schweren Elemente entstanden sind, aus denen unsere Welt besteht. Womöglich wird in solchen Kollisionen Materie so sehr verdichtet, dass sie sich in ihre elementaren Bestandteile auflöst.

Quark-Gluon-Plasma
In den normalen Kernbausteinen wie Neutronen sind Quarks (farbig) jeweils zu dritt durch die starke Kernkraft verbunden. Im Quark-Gluon-Plasma liegen die Quarks frei vor. © CERN

Auf der Spur der kosmischen „Ursuppe“

Dies zeigen zum Beispiel die Simulationsrechnungen des Astrophysikers Luciano Rezzolla, die er mithilfe von Supercomputern macht: Auf seinem Bildschirm entfalten die kosmischen Katastrophen eine lebendige, bunte Ästhetik aus Wirbeln oder vielförmigen Sphären in Gelb-, Orange- und Rottönen. „Was man sieht, ist Mathematik“, erklärt Rezzolla, „es ist nur eine andere Darstellungsweise als Zahlenreihen.“

Mit diesen Simulationen konnte Rezzolla zeigen, dass Gravitationswellen aus einer bestimmten Kollisionsphase sogar Hinweise auf eine Elementarteilchen-„Suppe“ liefern könnten, ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma. Dieses tritt nur unter extremsten Bedingungen auf, wie sie direkt nach dem Urknall herrschten oder bei besonders energiereichen Kollisionen in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) bei Genf erzeugt werden. In einem solchen Quark-Gluon-Plasma sind selbst die Kernbausteine Neutron und Proton zerfallen und ihre Komponenten, Quarks und Gluonen, liegen frei vor.

Zur Erforschung von Neutronensternen haben Rezzolla und seine Kollegen von der Goethe-Universität, der TU Darmstadt, dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und der Universität Gießen vor zwei Jahren den Forschungscluster ELEMENTS ins Leben gerufen. Sie wollen wissen: Wie sieht das Innere von Neutronensternen aus? In welchem Zustand befindet sich die Materie während der Kollision? Liegt sie als Plasma der Elementarteilchen vor? Sind die Kollisionen Voraussetzung für die Entstehung schwerer Elemente wie Gold oder Platin?

Die Basis ist Einstein

Zur Beantwortung dieser Fragen wollen Rezzolla und sein Team beitragen. Sie setzen dazu bei der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins an, die dieser bereits 1915 vorstellte. „Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine schöne Theorie“, findet Rezzolla. „Sie ist mathematisch schön, und sie ist schön, weil sie die Wirkung der Gravitation nur unter einer einzigen Annahme erklärt: Es gibt eine obere Grenze der Ausbreitungsgeschwindigkeit, Licht hat also eine Maximalgeschwindigkeit.“

Diese Annahme erscheint dem Physiker schlüssig, denn „sonst würde man erwarten, dass Dinge sich augenblicklich verändern können. Wir Menschen wären dann wohl eher geisterhafte Erscheinungen, die ständig überall erscheinen könnten.“ Weniger intuitiv zu erfassen sind allerdings einige der Folgen von Einsteins Theorie: dass Raum und Zeit nicht voneinander zu trennen sind und dass Massen diese Raumzeit verformen.

Raumzeitkrümmung
Albert Einstein belegte mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, dass große Massen die Raumzeit krümmen, hier am Beispiel der Erde dargestellt. © traffic_analyzer/ Getty images

Warum Newton bei der Gravitation irrte

Daraus folgt auch: Gravitation rührt nicht von der gegenseitigen Anziehung von Massen her – eine Theorie, die Isaac Newton im 17. Jahrhundert entwickelte und die 250 Jahre lang nahezu alle beobachtbaren Bewegungsphänomene glänzend erklärte. Erst als Astronomen die Umlaufbahn des Merkurs exakt vermaßen, bekam Newtons Theorie erste Risse: Die Umlaufbahn weicht wenig, aber deutlich von der Bahn ab, der er den Newton’schen Prinzipien zufolge eigentlich folgen sollte.

Einsteins Theorie dagegen kann dieses Phänomen erklären. Denn laut Einstein führt die Verformung der Raumzeit dazu, dass sich Massen entlang der Kurven dieser gekrümmten Raumzeit bewegen. Rezzolla vergleicht die Raumzeit mit einem Bettlaken: Legt man eine Bowlingkugel darauf, so drückt die Kugel das Laken zu einem Trichter ein, sie krümmt das Raumzeit-Bettlaken. Eine Murmel am Rand des Bettlaken-Trichters würde der Krümmung des Trichters folgen und deshalb auf die Bowlingkugel zurollen. Was Newton als Anziehung durch die Masse der Bowlingkugel interpretiert hatte, führt Einstein auf die Krümmung der Raumzeit (also den Trichter) zurück.

Doch nicht nur Massen, auch Licht und Zeit unterliegen dem Einfluss der Gravitation. Zur Veranschaulichung von Gravitationswellen tauscht man das Bettlaken am besten gegen ein Gummituch oder ein Gartentrampolin aus: Wird die Bowlingkugel in Bewegung gesetzt, so gerät das Tuch in Schwingung, und je größer die Masse der Kugel und ihre Geschwindigkeitsänderung ist, desto stärker werden die Gravitationswellen.

Im Weltall lösen daher Doppelsysteme zweier Neutronensterne oder zweier Schwarzer Löcher, die sich immer schneller umkreisen, besonders markante Gravitationswellen aus, die wiederum etwas über deren Masse und Bewegung verraten.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Wenn die Raumzeit Wellen schlägt
Was Gravitationswellen über kosmische Phänomene verraten

Die Neutronenstern-Kollision
Gravitationswellen aus der Verschmelzung von Sternenresten

Kosmische Ursuppe und Bettlaken-Raumzeit
Gravitation, Quark-Gluon-Plasma und Einstein

Radioblitze aus dem All
Können Neutronensterne auch die Fast Radiobursts erklären?

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