Die Wassermassen reißen Brücken aus der Verankerung, untergraben die Asphaltdecken der Straßen und spülen Bahngleise weg. Schlammfluten steigen über die Ufer, drücken Häuser ein und waschen ganze Dörfer von der Erdoberfläche – jedes Jahr wieder. Bereits nach dem ersten Monsun-Regen Anfang Juni 2006 sind über 500.000 Inder auf der Flucht vor dem Hochwasser, 800 Dörfer allein im Staat Assam überschwemmt und mehr als 120 Menschen in den Fluten umgekommen. Bis zum Ende der Monsun-Saison im Oktober wird die Zahl der Todesopfer noch weiter steigen. Zum Vergleich: 2005 starben zwischen Juni und August über 1.400 Inder an den Auswirkungen des Monsuns und bis zu zehn Millionen Menschen verloren ihr Dach über dem Kopf.
Beispiel Mumbai: Im ehemaligen Bombai, steht das Wasser zu Monsunzeiten hüfthoch. Die Menschen waten hindurch, nur wenige Straßen sind noch befahrbar. Die Elektrizität wird abgeschaltet und das Geschäftsleben kommt für Tage zum Erliegen: Das wirtschaftliche Herz Indiens liegt im Koma. Allein in der bevölkerungsreichsten Stadt der Welt sind über 13 Millionen Einwohner vom Monsun betroffen – von einer Milliarde Indern sind es insgesamt über 270 Millionen.
Szenenwechsel: Farbschnipsel fliegen durch die Luft von Jaipur in Rajastan, Musik plärrt aus scheppernden Lautsprechern und Menschen tanzen auf regendurchtränkten Böden. Mit dem Monsunanfang im Juni atmen die Bewohner auf: Die drückende Hitze lässt nach, der Staub wird aus der Landschaft gespült und der Regen bewässert die trockenen Felder. Seit Jahrhunderten ist der Monsun Lebensspender, der nach dem ersten Regenguss bereits das Grün aus der vertrockneten Erde zaubert.
Nur wenige Kilometer
Zwischen diesen beiden Szenearien liegen nicht selten nur wenige Kilometer oder wenige Stunden. In vielen Regionen des Landes wie dem Ratnagiri-Distrikt sind die Bauern völlig abhängig vom Monsun. Nur mit Niederschlag können sie ihre Felder bewirtschaften und zumindest einmal im Jahr ernten. Je nach Region fallen 70 bis 90 Prozent des Jahresniederschlags innerhalb der drei Monsun-Monate. Kommt der Regen später, schwächer oder überhaupt nicht, ist eine Hungersnot nicht mehr abzuwenden.
Lediglich 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Indien sind mit Bewässerungssystemen versehen, die allerdings auch nur während der Regenzeit eine gleichmäßige Verteilung des Wassers ermöglichen. Und dabei leben knapp 700 Millionen Inder von der Landwirtschaft – denn Land gibt es genug, nur Wasser ist Mangelware. Um auch während der Trockenzeiten an Wasser zu kommen und eventuell sogar zweimal ernten zu können, bauen Hilfsorganisationen wie die deutsche Arbeiterwohlfahrt in Ratnagiri kleine Brunnen.
Doch warum fällt fast der gesamte Regen in nur so kurzer Zeit und macht die anderen Monate zur Trockenperiode? Woher kommt der Monsun und wieso erscheint er immer so regelmäßig?
Stand: 21.07.2006