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Zoologie

Kot und Krankheit

Warum Stadttauben zu Unrecht einen schlechten Ruf haben

Unsere Innenstädte zeigen recht deutlich, dass Tauben dort nicht willkommen sind. An Balkonen, Kirchen und Bahnhöfen sollen große Netze die Vögel fernhalten, an Fenstersimsen und Gebäudevorsprüngen sind es lange Stacheln. Besonders verhasst sind dabei die Ausscheidungen der Tiere, aber auch die zahlreichen Krankheitserreger, die die „Ratten der Lüfte“ dem Volksglauben entsprechend in sich tragen.

Von wegen Ratten der Lüfte

Tatsächlich sind Tauben aber nicht ansatzweise die unhygienischen Plagegeister, für die viele sie halten. Wie Studien gezeigt haben, übertragen sie genauso viele beziehungsweise wenige Krankheiten wie andere Vögel und Wildtiere auch. Natürlich können Tauben krank werden – vor allem angesichts der schlechten Lebensbedingungen in unseren Städten – , doch die meisten Erreger sind bei Tauben wirtsspezifisch, können also nicht auf den Menschen überspringen.

Tauben in Venedig
„Das Berühren einer Taube ist ungefährlicher, als nach einer Türklinke zu greifen.“ © andresr/ iStock

So sind bei Straßentauben zwar rund 40 verschiedene potenziell humanpathogene Bakterien bekannt, von diesen wurden aber nur bei drei Erregern Infektionen des Menschen nachgewiesen, darunter Salmonellen. „Ein Tierarzt hat mir dazu gesagt: ‚Man müsste die Taube schon essen, wenn sie bereits drei Wochen in der Sonne lag. Dann könnte sie, wie jedes Geflügel, Salmonellen übertragen. Ansonsten ist das Berühren einer Taube ungefährlicher, als nach einer Türklinke zu greifen. Selbst ein Fünf-Euro-Schein überträgt mehr Krankheitserreger als eine Taube“, berichtet Eva-Maria Servatius vom Verein „Stadttauben Bochum“ in einem Interview.

Unerwünschte „Mitbringsel“

Auch die gesundheitlichen Risiken, die Taubenkot-Staub immer wieder zugeschrieben werden, stellen in der Regel keine große Gefahr dar – zumindest unter normalen Umständen und für Menschen mit einem gesunden Immunsystem. Riskant kann es allerdings werden, wenn man beispielsweise einen schon länger von Tauben bewohnten, stark mit Kot verschmutzen Dachboden reinigen möchte. Der dabei aufgewirbelte Staub kann krankmachende Bakterien wie den Ornithose-Erreger Chlamydophila psittaci sowie Schimmelpilze der Gattung Aspergillus enthalten. Geraten sie über die Atemwege in den Körper, kann dies in seltenen Fällen schwere Lungenentzündungen verursachen.

Ein weiterer ungebetener Mitbewohner von Tauben sind Taubenzecken (Argas reflexus). Auch sie kommen vor allem dort vor, wo Tauben länger genistet haben. Werden dann die Tauben vertrieben, beispielsweise, weil der Dachboden zur Wohnung ausgebaut wird, bleiben die oft in Mauerritzen oder anderen Verstecken sitzenden Taubenzecken zurück – und suchen sich einen neuen Wirt. Die nachtaktiven Zecken können dann auch beim Menschen Blut saugen und im Extremfall allergische Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock auslösen.

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Vollgekoteter Stuhl
Taubenkot kann zu einem großen Ärgernis werden. © fernost

Kot: Nervig, aber nicht schädlich

Vollgekotete Dachböden sind an dieser Stelle tatsächlich ein gutes Stichwort, denn das einzige, was viele noch mehr hassen als Tauben an sich, sind deren Hinterlassenschaften. Zugegeben: Wer sein Auto, seinen Balkon oder sonstige Flächen regelmäßig von hartnäckigem Taubenkot befreien muss, dem sei jedes genervte Augenrollen vergönnt.

Und auch wenn es die Reinigung nicht unbedingt erleichtert, soll an dieser Stelle trotzdem klargestellt werden, dass Taubenkot längst nicht so verätzend und materialschädigend ist, wie er häufig dargestellt wird. Tatsächlich ergab eine Untersuchung der Technischen Universität Darmstadt, dass die Hinterlassenschaften von Tauben bei fast keinem Baumaterial Schäden anrichten: weder bei Sandstein noch bei Granit, Ziegeln oder Nadelholz. Lediglich bestimmte Bleche können vorzeitig rosten, wenn sie Taubenkot über Wochen hinweg ausgesetzt sind.

Dauerhunger und verfrühter Tod

Interessanterweise würden Tauben auch längst nicht so hartnäckige Ausscheidungen hinterlassen, wenn sie in der Stadt artgerechtes Futter fänden. Denn die dicken weißen Kleckse sind in Wirklichkeit Taubendurchfall und kein regulärer Kot. Eigentlich ist das Verdauungssystem der Vögel auf Früchte, Blätter, Samen und vor allem Körner ausgerichtet. Doch in der Stadt finden sie nur schwer Verdauliches wie Fritten, Brotkrumen oder im schlimmsten Fall sogar Erbrochenes. Das führt zu Magen-Darm-Problemen, wahrscheinlich verbunden mit erheblichen Schmerzen und eben dem charakteristischen Durchfall, der zum Ärgernis für die Städte wird.

Tote Taube
Stadttauben erreichen in der Regel nur ein Zehntel ihrer Lebenserwartung. © Rama/CC-by-sa 2.0

Dass Tauben in der Stadt nur schädliche Nahrung finden, ist eigentlich schon traurig genug. Doch hinzu kommt, dass sie davon oft nicht einmal genug finden, um sich jemals in ihrem Leben wirklich satt zu fühlen. Stadttauben sind in der Regel unterernährt und bringen statt der üblichen 300 Gramm nur etwa 200 Gramm auf die Waage – wenn überhaupt. Zusammen mit Auto- und Fahrradkollisonen sowie weiteren Gefahren des Stadtlebens sorgt diese Unterernährung dafür, dass Stadttauben im Schnitt nur ein Zehntel ihrer eigentlichen Lebenserwartung erreichen, wie die Initiative „RespekTiere Tauben“ informiert.

Was hält die Tauben in der Stadt?

Doch wenn es den Tauben in unseren Städten so schlecht geht, warum fliegen sie nicht einfach davon? Das ist leichter gesagt als getan, denn es widerspricht dem Instinkt der Vögel. Tauben sind extrem ortstreu und würden lieber verhungern als ein paar Kilometer weiter zu ziehen. Deswegen würde es auch nichts bringen, die Tiere einzufangen und in Naturflächen im Umkreis der Städte auszusetzen. Sie kämen immer wieder zurück.

Nest einer Stadttaube
Die Nestbaukunst von Stadttauben hält sich in Grenzen. © mogor/CC-by-sa 3.0

Davon abgesehen können Stadttauben mit bewaldeten Gebieten auch nicht allzu viel anfangen, denn ihr Felsentauben-Erbe ist darauf ausgelegt, Nester an Felsvorsprüngen oder anderen geraden, steinigen Flächen zu bauen. Für diese Zwecke reichen ein paar wenige Zweige, die die Eier davon abhalten, in die Tiefe zu rollen. Ein komplexes Nest im Baumwipfel, wie wir es von einheimischen Vögeln kennen, liegt fernab der Fähigkeiten einer Stadttaube.

 

Genickbruch versus Taubenschlag

Um ihr Taubenproblem zu lösen, setzen einige Städte daher auf deutlich martialischere Methoden als reine Umsiedlungen, nämlich das Töten der Stadttauben per Genickbruch. Erst kürzlich sorgten dementsprechende Pläne der hessischen Stadt Limburg an der Lahn bundesweit für Aufsehen und Diskussionen. Neben der Politik sprachen sich dort auch 53 Prozent der Bürger für ein solches Vorgehen aus.

Nun kann man über das Taubentöten natürlich denken, was man möchte, aber man sollte dabei nicht außer Acht lassen, dass wir die Stadttauben einst gezüchtet und dann sich selbst überlassen haben, obwohl sie unsere Fürsorge benötigen. In gewisser Weise haben wir also eine Verantwortung für unsere geflügelten Mitbewohner und der ließe sich sogar gerecht werden, während wir gleichzeitig ihre Population reduzieren. Die Antwort: betreute Taubenschläge.

Taubenschlag
Betreute Taubenschläge könnten einige Probleme lösen, sind aber verhältnismäßig teuer. © mgstudyo/ iStock

Ein All-inclusive für Tauben

„In diesen betreuten Taubenschlägen werden die Tauben artgerecht versorgt und die Eier durch Attrappen ersetzt, um eine tierfreundliche Regulierung der Populationen zu ermöglichen“, erklärt die Tierschutzorganisation Peta. Die Tauben, denen im Übrigen angezüchtet wurde, mehrmals im Jahr ungeachtet der eigenen Gesundheit und verfügbaren Nahrung zu brüten, würden dann zum Beispiel Gips-Eier bebrüten, aus denen natürlich nie ein Küken schlüpfen wird.

Gleichzeitig werden die Tauben in solchen Anlagen mit artgerechter Nahrung versorgt und sind sicher vor den Gefahren der Stadt. „Zudem verbringen die Tauben die meiste Zeit in den Schlägen, wodurch auch 80 Prozent des Kots dort landen und nicht mehr auf den Straßen“, ergänzt Peta.

Auch in Limburg waren Taubenschläge von Tierschützern ins Gespräch gebracht worden, doch am Ende ist deren Einrichtung auch eine finanzielle Frage. Während ein einziger Taubenschlag die Stadt nach eigenen Angaben rund 90.000 Euro im Jahr kosten würde, nimmt der Falkner, der zum Genickbrechen angeheuert wird, nur etwa 20.000 Euro. Darüber hinaus reduziert die Tötung die Population sofort, der aufwendige Eiertausch wirkt sich erst auf die Größe kommender Taubengenerationen aus.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die Welt der Tauben
Ratten der Lüfte oder missverstandene Genies?

Eine große Familie
Taube ist nicht gleich Taube

Kot und Krankheit
Warum Stadttauben zu Unrecht einen schlechten Ruf haben

Das Leid der Brieftauben
Wie wir die Treue der Tiere ausnutzen

Unterschätzte Genies
Tauben sind schlauer als viele denken

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