Ungefähr zur gleichen Zeit, als Polarforscher die kältesten Orte der Erde erkundeten, erreichten auch die Tieftemperaturphysiker einen vorläufigen Höhepunkt auf ihrem Weg zum absoluten Nullpunkt. Ähnlich dramatisch wie der Wettlauf zum Südpol zwischen dem Briten Robert Scott und dem Norweger Roald Amundsen verlief das Kräftemessen im Labor zwischen dem Schotten James Dewar und dem Niederländer Heike Kammerlingh Onnes.
Kühlung durch Gase
Am Beginn der abenteuerlichen Reise standen die Experimente des britischen Autodidakten Michael Faraday, der Anfang des 19. Jahrhunderts Gase verflüssigt hatte. Da einige, wie Stickstoff, Sauerstoff und Wasserstoff, seinen Bemühungen hartnäckig widerstanden, nannte Faraday sie „permanente Gase“. Erst 1873 fand der niederländische Theoretiker Johannes Diderik van der Waals den Grund dafür: Es genügte nicht, diese Gase stark zusammenzudrücken und die entstehende Wärme abzuführen, sondern man musste sie auch unter eine kritische Temperatur abkühlen.
Dank dieser Erkenntnis gelang es zuerst Sauerstoff bei –183 Grad Celsius zu verflüssigen und dann Stickstoff bei –196 Grad Celsius. Dies war der Stand der Dinge, als Dewar und Kamerlingh Onnes sich der wie sie meinten letzten großen Herausforderung stellten: der Verflüssigung von Wasserstoff. Ihre Strategie: Sie wollten als Kühlmittel eine Reihe von Gasen verwenden, die bei immer tieferen Temperaturen flüssig werden. Dabei diente das erste verflüssigte Gas als Kühlmittel für das zweite Gas in der Kühlkette und so fort.
Akute Explosionsgefahr
Die Versuche waren nicht ungefährlich, denn der zu verflüssigende Wasserstoff musste unter einem enormen Druck, dem 180-Fachen des Atmosphärendrucks, in die Kühlschlange gepresst werden. Die Glaswände der Apparaturen wurden allein schon wegen der großen Kälte spröde – unter dem zusätzlichen Druck geschah es mehr als einmal, dass sie explodierten. Einige Assistenten Dewars verloren bei solchen Zwischenfällen ein Auge. Kamerlingh Onnes’ Labor wurde sogar für zwei Jahre geschlossen, weil die Leidener Stadtväter wegen des Explosionsrisikos besorgt waren.
Diese Situation verschaffte dem Konkurrenten in Schottland einen Vorteil. 1898 gelang es Dewar, nach fast zwanzigjährigen Bemühungen, Wasserstoff bei –252 Grad Celsius zu verflüssigen und sich dem absoluten Nullpunkt bis auf 21 Grad zu nähern.
PTB maßstäbe / Anne Hardy
Stand: 29.10.2010