Urplötzlich und wie von Geisterhand tun sich Löcher auf, Gartenstühle, Planschbecken, manchmal sogar ganze Gebäude verschwinden in der Tiefe. Zurück bleiben geschockte und ratlose Anwohner: So genannte Tagesbrüche haben im Ruhrgebiet und im Siegerland eine lange Tradition. Mehr als 50 dieser Phänomene ereignen sich in NRW durchschnittlich – pro Jahr, Dunkelziffer unbekannt.
Aufregung in Wattenscheid
Der vielleicht bekannteste Tagesbruch überhaupt brachte Anfang Januar 2000 den Bochumer Stadtviertel Wattenscheid-Höntrop in die Schlagzeilen. Mehrere Garagen samt Autos wurden damals dort ohne Vorwarnung von zwei wie aus dem Nichts entstandenen 15 Meter tiefen Kratern verschluckt. Ursache für das so genannte Höntroper Loch: Vermutlich der Einsturz von tiefer gelegenen Teilen des Schachts der längst still gelegten Zeche „Vereinigte Maria Anna & Steinbank“.
„Der Krater von Höntrop war sicher einer der spektakulärsten Tagesbrüche in den letzten Jahren“, sagte Ulrich Hoppe, Dezernent für Altbergbau bei der Bezirksregierung Arnsberg, im Februar 2006 in der Berliner Zeitung.
Gefährliche „Delle“ in Mülheim
Auf den ersten Blick weniger dramatisch ging es im Sommer 2004 in einem Wohnviertel in Mülheim an der Ruhr zu. Anwohner der Mühlenstraße registrierten dort eine fast harmlos und unscheinbar wirkende „Delle“ vor einem Grundstück. Doch im Untergrund lauerte eine enorme Gefahr. Wie nähere Untersuchungen ergaben, gab es dort ein umfangreiches System an Hohlräumen, das viele Häuser bedrohte. Nur mithilfe von 8,5 Millionen Euro und mehreren tausend Tonnen Beton konnte der Untergrund schließlich stabilisiert werden. Die „Löcher“ unter dem Straßenzug beruhten offenbar auf einem längst vergessenen illegalen Kleinbergbau der Bürger vor einigen Jahrzehnten.
„Wir haben über diesen wilden Bergbau keinerlei Aufzeichnungen oder Akten“, erläutert Andreas Nörthen, ebenfalls von der Bezirksregierung Arnsberg auf der Internetseite des WDR. „Das Gebiet ist aufgrund der Hanglage prädestiniert für eine ‚Zeche Eimerweise’“.
Vorsicht Einsturzgefahr
Zuletzt hat am 7. März 2009 in Hattingen ein Tagesbruch viele Bewohner in Angst und Schrecken versetzt. Zwischen den Häusern Ruhrblick 26 und 28 öffnete sich damals die Erde und die Bewohner mussten wegen akuter Einsturzgefahr sofort evakuiert werden. Mittlerweile sind die Schäden behoben. Insgesamt 570 Kubikmeter Baustoff haben Spezialfirmen bis zum 22. April 2009 in die Hohlräume verfüllt und die Gefahr damit gebannt.
Ruhrgebiet untertunnelt
Wie viele gefährliche – weil schlecht oder gar nicht verfüllte – Stollen und Schächte es in NRW gibt ist unklar. Experten gehen aber von mehreren hundert oder tausend aus. „Theoretisch könnte man unterirdisch durch das ganze Ruhrgebiet wandern“, sagte dazu Jörg Mittrach von der Deutschen Montan-Technologie im Jahr 2000 im Spiegel. Vor allem im südlichen Ruhrgebiet und im Siegerland ähnelt der Untergrund weniger dem üblichen kompakten Gebilde, als einem überdimensionalen „Leerdamer-Käse“. Die Jahrzehnte lange Bergmannstradition hat hier deutlich ihre Spuren hinterlassen.
Diese Tunnel zu finden und zu sichern ist nicht so einfach, denn die Bergbauarchive sind mehr als lückenhaft. Techniker, Ingenieure und Experten versuchen deshalb mithilfe von Testbohrungen, Schallwellen oder über eine Suche Untertage potenziellen Gefahrenquellen auf die Spur zu kommen. Einige von ihnen konnten mittlerweile bereits „entschärft“ werden, bevor sie sich an der Erdoberfläche bemerkbar machten.
Nächster Tagesbruch kommt bestimmt
Trotzdem ist es nach Ansicht von Wissenschaftlern nur eine Frage der Zeit, bis der nächste dieser menschengemachten Stollen einbrechen wird – mögliche Opfer und größere Sachschäden wie in Bochum, Hattingen oder Mülheim inklusive. Aber wie sagte Helmut Diegel von der Bezirksregierung Arnsberg im Juni 2009 so treffend: „Wir müssen in diesem Bundesland mit unserer Geschichte leben und sie meistern.“
Stand: 12.06.2009