
Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl wurde der Zusammenhang der Strahlenexposition und der Erkrankungsrate an Schilddrüsenkrebs detailliert untersucht. Für andere Krebserkrankungen wie Leukämien und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems wurden wegen der relativ geringen Strahleneffekte nur wenige Studien durchgeführt. Demgegenüber gibt es einige Untersuchungen der sozialen und psychologischen Folgen des Unfalls. Widersprüchliche oder unklare Aussagen gibt es zu Missbildungen bei Neugeborenen, Totgeburten und erhöhter Kindersterblichkeit.
Schilddrüsenkrebs nimmt zu
Seit 1990 gibt es in Weißrussland und in den stärker kontaminierten Gebieten der Ukraine – Zhytomyr, Chernihiv und Kyiv – und Russlands eine signifikante Zunahme der Schilddrüsenkrebsrate bei Menschen, die zum Unfallzeitpunkt Kinder oder Jugendliche waren. In Gomel, dem am höchsten kontaminierten Gebiet in Weißrussland, war der Effekt besonders dramatisch. Hier war die beobachtete Anzahl von Fällen um einen Faktor sechs höher als die Spontanrate, für die allerdings nur ein Schätzwert vorliegt.

Insgesamt wurden im Zeitraum 1986 bis 2002 in der Ukraine und Weißrussland unter denjenigen, die zum Zeitpunkt des Unfalls Kinder und Jugendliche waren (Geburt vor 1986), 4.400 Schilddrüsenkrebsfälle registriert. Im Geburtsjahrgang 1986 waren es 124 Fälle. Unter Berücksichtigung der höher kontaminierten Gebiete Russlands – Bryansk, Kaluga, Orel, Tula – erhöhen sich die Zahlen um zirka zehn Prozent.
In Gomel war die Inzidenzrate – die Anzahl der Neuerkrankungen dividiert durch die Individuenzahl – um mehr als einen Faktor zehn höher als in den niedriger kontaminierten Gebieten der Ukraine. Das relative Risiko an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, lag um einen Faktor drei höher als in den USA, wobei diese die höchste Schilddrüsenkrebsrate aller Länder, die große Krebsregister führen, aufweist. In der Ukraine waren die Schilddrüsendosen im Mittel deutlich niedriger. Dementsprechend lag die Inzidenzrate im mittleren Bereich der Raten, wie sie auch in nicht vom Reaktorunfall betroffenen Ländern vorkommen.