Die Zeit vor rund 40.000 Jahren brachte in Europa einen großen Wandel: Nachdem hunderttausende Jahre lang der Neandertaler in dieser Region dominiert hatte, neigte sich seine Ära dem Ende zu. Nach und nach schrumpften die Populationen unseres eiszeitlichen Vetters, bis er schließlich vor spätestens 35.000 Jahren ganz ausstarb. Gleichzeitig machte sich eine neue Menschenart in Europa breit: der Homo sapiens – unser Vorfahre.
Das Spannende daran: Inzwischen ist klar, dass mindestens einige Höhlenmalereien genau aus dieser Umbruchszeit stammen. Zu ihnen gehören die Handabdrücke aus der spanischen El Castillo-Höhle, aber auch Ritzzeichnungen in einem Felsunterstand in der Dordogne, dem Abri Castanet. Sie wurden auf ein Alter von rund 37.000 Jahren datiert – und gehören damit ebenfalls zu den ältesten bekannten Felsbildern Europas.
Homo sapiens als Künstler?
Wer aber waren die Schöpfer dieser ersten europäischen Kunstwerke? Nach Ansicht der meisten Archäologen waren die frisch eingewanderten modernen Menschen die prähistorischen Künstler. „Belege für die Anwesenheit des Homo sapiens in Nordspanien reichen 41.500 Jahre zurück“, erklärt Alistair Pike von der University of Bristol, der die Datierung der El Castillo-Felsbilder leitete.
Seiner Ansicht nach müssen unsere Vorfahren diese Malerei entweder direkt nach ihrer Ankunft auf dem neuen Kontinent entwickelt haben, oder aber sie brachten diese kulturelle Fertigkeit schon aus Afrika mit. Für den Homo sapiens als Künstler spricht, dass die Höhlenmalerei sich von dieser Zeit an nahezu ununterbrochen bis zum Ende der Eiszeit fortsetzte. Diese Kontinuität deutet darauf hin, dass auch die Erschaffer dieser Kunstwerke einer Kultur oder doch zumindest einer Art angehörten – der unsrigen.
Und die Neandertaler?
Doch es gibt auch Archäologen, die die Anfänge der europäischen Felskunst nicht allein beim Homo sapiens sehen. Zu ihnen gehört João Zilhão, ein Kollege Pikes beim El Castillo-Projekt. Der Archäologe der Universität von Katalonien stimmt zwar zu, dass der Homo sapiens die Mehrheit der Höhlenmalereien schuf. Er will aber nicht ausschließen, dass zumindest die frühesten Felsbilder, darunter vor allem Ritzzeichnungen und Handabdrücke, vielleicht noch vom Neandertaler stammen.
Einen Beleg für seine Theorie liefert möglicherweise die Gorham-Höhle auf Gibraltar. Denn dort haben Archäologen im Jahr 2014 erstmals Felskunst entdeckt, die eindeutig von Neandertalern stammt. Es handelt sich um ein kreuzförmiges Muster aus acht tief in den Stein geritzten Linien, die mindestens 39.000 Jahre alt sind.
„Der Homo sapiens war zu dieser Zeit zwar schon in Westeuropa präsent, hatte aber das Südende der Iberischen Halbinsel noch nicht erreicht“, erklären Joaquín Rodríguez-Vidal von der Universität von Huelva und seine Kollegen. Zudem wurden in der Höhle zahlreiche Knochen, Werkzeuge und Nahrungsreste gefunden, die dort von Neandertalern hinterlassen wurden. Als Erschaffer dieses eher abstrakten Symbols kommt ihrer Ansicht nach daher nur der Neandertaler in Frage. Er entwickelte offenbar unabhängig von unseren Vorfahren die ersten symbolischen Darstellungen.
Nadja Podbregar
Stand: 04.11.2016