„Ich wäre kaum erstaunter gewesen, wenn mir auf der Straße ein Dinosaurier begegnet wäre“, so kommentierte Professor Smith von der Rhodes University in Grahamstown, seine erste „Begegnung“ mit dem lebenden Fossil Quastenflosser im Jahr 1938. Und auch der Rest der wissenschaftlichen Welt stand Kopf nach dem spektakulären Fund in Südafrika.
Aufsehenerregend war nicht nur die Entdeckung eines lebenden Fossils an sich, sondern auch, dass sich der Quastenflosser trotz 400 Millionen Jahren Evolution rein äußerlich kaum von seinen Urahnen aus dem Devon unterschied.
Innerhalb kurzer Zeit begann eine fieberhafte Suche nach weiteren vielleicht sogar lebenden Quastenflossern an der Ostküste Südafrikas und auch in anderen Meeresgebieten. Doch die Hatz brachte keinen schnellen Erfolg. Erst 14 Jahre später ging wieder ein Latimeria chalumnae – wie Professor Smith den uralten Sonderling zu Ehren seiner Entdeckerin getauft hatte – ins Netz. Allerdings viele hundert Kilometer weiter nördlich vor den Komoren-Inseln im Indischen Ozean.
Und dieses Mal, so viel wurde schnell klar, durfte die Wissenschaft vielleicht sogar von einer größeren Population in der Region träumen. Denn in Interviews mit den Einheimischen fanden die Wissenschaftler schnell heraus, dass die Fischer hier schon häufiger, ohne es zu wissen, Quastenflosser von ihren Beutezügen aufs Meer mit nach Hause gebracht hatten. Statt in Forschungslaboren waren sie bisher allerdings auf den Tellern der Inselbewohner gelandet.
Oldtimer der Tierwelt im Visier der Forscher
Seit mehr 25 Jahren erforscht Professor Hans Fricke vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen die Quastenflosser. Mithilfe des Tauchbootes „GEO“ ist es ihm 1987 gelungen, erstmals die Tiere und ihr Verhalten im natürlichen Lebensraum zu beobachten und zu filmen. Damit hat er viele Geheimnisse um die „Oldtimer“ der Tierwelt gelöst.
So hat er beispielsweise entdeckt, dass die Tiere tagsüber meist regungslos in kleinen Gruppen in 300 Meter tief gelegen Vulkanhöhlen vor den Komoren vor sich „dämmern“. Erst in der Nacht werden sie aktiver und orten mithilfe eines Elektrorsensors Beutefische. Dabei gehen sie äußerst ökonomisch vor und nutzen jede noch so geringe Strömung im Meer, um vorwärts zu kommen. So halten die Tiere den Energie- und Sauerstoffverbrauch so klein wie möglich.
So langsam und träge die Quastenflosser normalerweise auch wirken, wenn es darum geht einen Fisch zu ergattern, können sie laut Fricke erstaunlich flink und schnell werden. Ist die Beute in Reichweite, schießt der Quastenflosser angetrieben von seiner Schwanzflosse blitzschnell vor und schnappt sich den überraschten Fisch.
Mit einem Mythos um die Quastenflosser hat Fricke im Laufe der Jahre aber aufgeräumt: Im Gegensatz zu ihren Vorfahren nutzen sie ihre vier Brust- und Beinflossen heute nicht mehr, um damit über den Meeresboden „spazieren zu gehen“, sondern lediglich um die Balance zu halten. Fricke und sein Team schätzen, dass die Population an Quastenflossern vor den Komoren vielleicht 500 bis 1.000 Tiere groß ist. Genau wissen sie es nicht.
Quastenflosser häufiger als gedacht?
Doch nicht nur vor den Komoren gibt es die lebenden Fossilien, auch in anderen Regionen der Erde ist man mittlerweile auf Quastenflosser gestoßen. So tauchte im September 1997 ein totes Exemplar auf einem Fischmarkt in Manado/Indonesien auf – rund 10.000 Kilometer von der einzigen bisher bekannten Population entfernt.
Grund genug für Fricke, mit seinem Tauchboot „Jago“ auch dort nach lebenden Exemplaren zu suchen. Und siehe da, Ende 1999 wurde er fündig. In einer Höhle in knapp 160 Meter Tiefe vor Manado entdeckte er mehrere lebende Exemplare der seltenen Fische. Wie Gentests bewiesen, handelte es sich dabei um eine eigene Art, die sich vor mindestens einer Million Jahren von den Komoren-Quastenflossern getrennt hat.
Auch in der Sodwana-Bucht an der Grenze von Südafrika zu Mosambik haben Meeresforscher Fricke und sein Team – dabei ist unter anderem noch die Zoologin Karen Hissmann – Quastenflosser aufgespürt. Zuletzt entdeckten sie im April 2004 zwei neue bisher unbekannte Exemplare, die den dortigen Bestand auf insgesamt 21 Tiere erhöhten.
Fragen über Fragen
Doch noch sind längst nicht alle Rätsel um die Quastenflosser gelöst. Gibt es noch andere Populationen von Latimeria in den Ozeanen? Wie schaffen sie es, Entfernungen von 10.000 Kilometer oder mehr zu überwinden? Welche Verwandschaftsverhältnisse bestehen zwischen den verschiedenen Populationen?
Auf diese und viele andere Fragen wissen die Wissenschaftler heute noch keine befriedigende Antwort. Mithilfe von DNA-Analysen oder Sendern wollen sie in Zukunft jedoch mehr über die möglichen Urahnen der Landwirbeltiere erfahren.
„Wir wollen jetzt Gewebeproben sammeln, die uns bei unserer Genanalyse des Sodwana-Quastenflossers helfen werden“, sagte Fricke in einer Sendung des Wissenschaftmagazins Nano im Jahr 2002. Wir hoffen, auch in der Lage zu sein, einige von ihnen zu markieren, um ihre Bewegungen von der Oberfläche verfolgen zu können.“
Stand: 10.12.2004