Vor rund 2.000 Jahren beherrschten die Römer den gesamten Mittelmeerraum und große Teile Westeuropas. Im 1. Jahrhundert nach Christus umfasste das Imperium Romanum beispielsweise alle Mittelmeeranrainer von Spanien bis Marokko sowie einige europäische Länder an Atlantik und Nordsee. Jahrhundertelang wuchs das Kaiserreich von Italien aus in alle Himmelsrichtungen.
Strategiewechsel: Machterhalt statt Expansion
Dann stagnierte die Expansion des Römischen Reichs, unter anderem wegen des Widerstands der Nachbarvölker, wie zum Beispiel die Niederlage der Römer gegen die Germanen in der berühmten Varusschlacht belegt. Die Eroberung weiterer Gebiete schien zu diesem Zeitpunkt zudem nicht mehr lukrativ, weil diese Landschaften beispielsweise unwegsam waren, keine Bodenschätze oder fruchtbares Ackerland enthielten.
Die Römer umgaben ihr Reich daraufhin mit einer gigantischen Grenzanlage: dem Limes. Dieses historisch einzigartige Befestigungssystem reichte bei seiner Fertigstellung von Großbritannien durch die Niederlande und Süddeutschland über Osteuropa, Vorderasien und den Nahen Osten bis nach Arabien und Nordafrika. Die schrittweise errichtete Trennlinie markierte fortan die Außengrenze des römischen Kaiserreichs und war vielerorts mit aufwändigen Wehranlagen gespickt, um die mühsam eroberten Regionen zu halten und die Macht Roms zu sichern.
Ein Bollwerk zur Abschreckung und leichteren Strafverfolgung
Ähnlich wie die Außengrenzen heutiger Staaten durch massive Mauern und Stacheldrahtzäune abgeriegelt werden, bauten auch die Römer hohe Mauern, Forts und Grenzposten. Augenscheinlich dienten die mit Soldaten besetzten Kastelle und Wachtürme der Römer der militärischen Verteidigung des Landes bei Bedrohung von außen.
Durch miteinander verbundene Posten und strategisch positionierte Kasernen waren die Wehranlagen eine Art Frühwarnsystem, um bei Angriffen und unerwünschten Grenzübertritten schnell reagieren zu können. „Eine heimliche Rückkehr – etwa nach einem Beutezug – war nun sehr risikoreich und die Eindringlinge konnten mit einer Strafaktion des römischen Militärs rechnen“, berichtet der Historiker und Archäologe Thomas Becker vom hessischen Landesamt für Denkmalpflege, ehemals beim Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege tätig.
Für eine flächendeckende Abschottung des Römischen Reiches waren die Anlagen allerdings oft zu klein und lückenhaft. Tatsächlich sollten die Wehranlagen in erster Linie der Abschreckung und symbolpolitischen Grenzziehung dienen.
Grenzen der Zivilisation
Der Limes war zwar streckenweise durchaus eine undurchlässige, militärische Sperrzone mit massiven Bollwerken. Überwiegend markierte er jedoch vor allem als schmale Linie den Übergang von den Lebensräumen angrenzender Völker zum römischen Herrschaftsgebiet. „In der Regel war ein normaler Grenzverkehr möglich, die Grenze war offen. Die Römer wollten aber wissen, wer aus welchem Grund die Grenze überquerte“, so Becker.
So war der Limes zumindest zu Beginn der Grenzziehungen noch ein attraktiver Ort auch für zivile Siedler. Die in Grenznähe lebenden Bürger des Römischen Reichs profitierten dabei von der damals überlegenen Infrastruktur der Römer, die die Soldaten bis an die Außengrenzen brachten. Dazu zählten beispielsweise Straßen, die Wasserversorgung und andere befestigte Anlagen, aus denen entlang des Limes auch zahlreiche größere Städte und Kulturzentren hervorgingen.
Zugleich entwickelten sich dort fortschrittliche Techniken und Praktiken – etwa in der Landwirtschaft, der Hygiene, dem Bauwesen oder im Zivilrecht–, die den Menschen im Grenzgebiet weitere Vorteile brachten. So sicherte der Limes dem Imperium Romanum nicht nur politische Stabilität, „sondern ermöglichte auch eine soziale und kulturelle Entwicklung, die den europäischen Raum maßgeblich prägte“, schreibt die Österreichische UNESCO-Kommission.
Handel und Wirtschaftszone entlang des Limes
Darüber hinaus begrenzte der Limes auch die römische Wirtschaftszone. An den Grenzübergängen wurden Waren kontrolliert, Zölle erhoben und große Marktplätze zum Handel mit den Nachbarn errichtet, etwa in Mittel- und Nordeuropa, aber auch bis nach Indien und die Sahara. Die Bewohner des „Barbaricums“ und andere nicht romanisierte Nachbarvölker waren daher ebenso Handelspartner wie Feinde der Römer. Getauscht wurden dabei nicht nur Waren, sondern auch Ideen und Werte.
Befreundete „Barbaren“ beziehungsweise „Vandalen“ und andere verbündete Ausländer durften durchaus auch ins Imperium einreisen und immigrieren, ebenso wie Römer beliebig ausreisen konnten. Weniger wohlgesonnene Volksgruppen durften zumindest unter bewaffneter Begleitung vorübergehend einreisen und Handel betreiben. Die offene Grenze brachte so Wohlstand und Austausch beiderseits des Limes, sowohl für die römischen Bürger als auch deren Kooperationspartner. Zugleich verhinderte sie unkontrollierten Handel und Migration.
Leben an der Mauer: Zwischen Frieden und Krieg
Archäologische Hinweise auf große Bürgerkriege und langandauernde Kämpfe an den Grenzen während der Limes-Zeit gibt es zwar kaum. Es kam dort jedoch regelmäßig zu kleineren Schlachten und Angriffen, bei denn die römischen Soldaten und verbündete Stammesführer die Grenzbewohner gegen die Rebellen verteidigten. Für das Militär war der Erhalt des Limes somit eine stetige Herausforderung. Davon zeugt bis heute die Redewendung „bis ans Limit zu gehen“.
Das bürgerliche Leben in den Provinzen entlang des Limes können wir uns hingegen als überwiegend friedlich, sicher und bequem vorstellen – zumindest so lange die Limites bestanden. Ab dem 3. Jahrhundert nach Christus durchbrachen verschiedene Gruppen, beispielsweise die Germanen, immer wieder die zuvor über Jahrzehnte respektierten Grenzen an mehreren Orten und läuteten den schrittweisen Zerfall des Limes und des gesamten Imperium Romanum ein. Die Soldaten und Kaiser gaben die Festungen daraufhin eine nach der anderen auf.