Ihr Leben steht auf dem Kopf: Langsam, aber traumwandlerisch sicher hangeln sich alle sechs heute lebenden Arten von Faultieren kopfüber nach unten hängend durch die Baumkronen der Tropischen Regenwälder. Dies konnten Megatherium americanum und andere Riesenfaultiere nicht: Sie waren viel zu schwer, um sich längere Zeit in Bäumen aufhalten zu können.
Stattdessen hatten sie sich im Laufe der Evolution erstaunlich gut an ein Leben auf dem Boden angepasst. So bewegte sich etwa Megatherium americanum nicht im Vierfüßler-Gang vorwärts, sondern richtete sich häufig auf die Hinterbeine auf und konnte offenbar längere Strecken aufrecht gehen. Indizien für diese Fortbewegungsart haben Wissenschaftler zumindest im Jahr 1987 nahe dem kleine Ort Pehuen-Có an der Atlantikküste Argentiniens gefunden.
Verräterische Fußspuren
Neben vielen anderen fossilen Fußspuren entdeckten sie dort auch Abdrücke, die höchstwahrscheinlich von Megatherium americanum stammen. „Jeder Fußabdruck ist fast einen Meter lang“, beschreibt die Wissenschaftlerin Teresa Manera von der Universidad Nacional del Sur in Bahía Blanca in der Zeitschrift „Geo“ die enormen Ausmaße der Funde. Im Gestein erhalten geblieben sind jedoch fast nur Relikte von den Hinterbeinen, die Hände kamen den Forschern zufolge nur hin und wieder sporadisch zur Unterstützung zum Einsatz.
Die wertvollen 12.000 Jahre alten Fossilien bestätigen damit eine lange Zeit als abstrus geltende Theorie zum zweibeinigen Gang der Riesenfaultiere, die der österreichische Paläontologe Othenio Abel bereits im Jahr 1912 aufgestellt hatte.
Langsamer als ein Jogger
Besonders schnell kam das Riesenfaultier auf diese Art und Weise wohl nicht vorwärts. Dies ergaben im Jahr 2003 Berechnungen von Wissenschaftlern anhand der vorliegenden Daten zur Anatomie der Urzeitwesen. Ein zügiger menschlicher Wanderer oder Jogger hätte Megatherium – das Faultier erreichte maximal eine Geschwindigkeit von vier Kilometer pro Stunde – wohl locker überholt und abgehängt.
Fleischfresser oder Vegetarier?
Lange Zeit unter Wissenschaftlern umstritten war auch die Ernährungsweise des Riesenfaultiers. Zwar hielten es die meisten für einen reinen Pflanzenfresser, der auf den Hinterbeinen stehend mit seinen Krallen nach Ästen fischte, um sie anschließend abzuweiden.
Einige Forscher widersprachen dieser Theorie jedoch vehement und vertraten eine komplett gegenteilige Ansicht. So gingen Richard Fariña und Ernesto Blanco von der Universidad de la República in Montevideo davon aus, dass Megatherium seine Krallen nicht für das Sammeln von vegetarischer Kost oder als Abwehrwaffe nutzte, sondern um aktiv Beute zu machen. Potenzielle Opfer waren ihrer Ansicht nach sogenannte Glyptodonten, längst ausgestorbene riesige Verwandte der heutigen Gürteltiere.
Die Wissenschaftler gründeten ihre Theorie auf eine Untersuchung des sogenannten Olecranons. Dabei handelt es sich um den Teil der Elle, an dem die Sehne des Oberarmmuskels – Musculus triceps brachii – ansetzt. Die Vermessung des Olecranons ergab, dass dieser bei Megatherium erstaunlich klein war. Je kürzer dieser Knochenteil ist, desto schneller kann sich jedoch der Arm bewegen – eine Fähigkeit die typischerweise Räubern zugeschrieben wird.
Fariña und Blanco vermuteten deshalb, dass das Riesenfaultier die bis zu 1.400 Kilogramm wiegenden Glyptodonten zunächst mit seiner Körperkraft umwarf. Anschließend stieß es seinen Opfern die Klauen in den weichen Unterbrauch, um sie zu töten.
Zähne widerlegen Raubtier-Hypothese
Heute jedoch gilt diese Raubtier-Hypothese als widerlegt. Wichtige Beweise dafür brachte eine detaillierte Analyse von fossilen Megatherium-Zähnen. „Die Kanten sind […] nicht scharf genug, um Fleisch zu zerschneiden. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Megatherium auf Fleischnahrung spezialisiert war“, fassen Wighart von Koenigswald vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn und Simone Hoffmann von der Stony Brook University in New York die Ergebnisse zusammen.
Die Riesenfaultiere selbst hatten nach Ansicht von Wissenschaftlern aufgrund ihrer Größe und der gefährlichen Krallen kaum Fressfeinde zu fürchten. Lediglich vor Säbelzahnkatzen oder Urzeit-Hunden mussten sie sich in Acht nehmen.
Dieter Lohmann
Stand: 10.02.2012