„Das eigentliche Verbrechen ist, dass es keine Gesetze gibt, die die Praxis der Verfälschung von Lebensmitteln unterbinden.“ Dies ist nicht etwa ein Zitat eines führenden Verbraucherschützers oder einer konsumentenfreundlichen Juristenwebsite, sondern ein Fazit, das bereits vor mehr als 150 Jahren gezogen wurde – in einer Zeitung aus dem britischen Bradford. Passiert war zuvor folgendes:
Arsen statt Zucker
Im Jahr 1858 bot William Hardaker, auch bekannt als „Humbug Billy“, in seiner Marktbude im britischen Bradford leckere Pefferminzbonbons zum Verkauf an. Sie fanden reißenden Absatz, doch die Süßigkeiten hatten verheerende Folgen: 20 Kinder starben schon bald an mysteriösen Vergiftungen, fast 200 Einwohner der Stadt erkrankten schwer. Sofort ging die Suche nach den Schuldigen los. Ergebnis: Hardakers Süßigkeiten bestanden – wie damals durchaus üblich – zu einem erheblichen Teil aus preiswertem Ersatzmaterialien an Stelle von Zucker. Dummerweise hatte ein unerfahrener Apothekergehilfe den eigentlich gewünschten Gips mit hochgiftigem Arsen verwechselt. Dies blieb unbemerkt und das Drama nahm seinen Lauf. Die Schuldigen wurden zwar später wegen Totschlags angeklagt, kommen aber am Ende ohne Strafe davon.
Keine Pause für den Lügendetektor
Das Beispiel aus dem Zeitalter der industriellen Revolution zeigt zumindest eins: Lebensmittel-Manipulationen und Verbrauchertäuschung haben eine lange Tradition und meist – früher wie heute – spielt dabei das Streben nach einer Gewinnmaximierung die entscheidende Rolle.
Doch in den letzten Jahren scheinen die zum Teil legalen, aber trotzdem unseriösen Praktiken immer mehr zuzunehmen – oder sogar bereits zum Standard geworden zu sein. Die Verbraucherzentrale Hamburg formuliert es jedenfalls auf ihrer Website so: „Daher würde ein Lügendetektor im Supermarkt ständig ausschlagen, wenn er dort zum Einsatz käme. Denn offenbar sehen sich immer mehr Anbieter veranlasst, an den Zutaten zu sparen und möchten vor allem eines vermeiden: Dass die Verbraucher das merken. Wer beim Einkaufen auf schöne Namen und Bilder hereinfällt, ist schon in die Imitat-Falle getappt.“
Verpackungsangaben verstehen nur Lebensmittelchemiker
Werden Mogel-Produkte dann von Verbraucherschützern oder Lebensmittelkontrolleuren entdeckt und angeprangert, scheinen sich die Hersteller meist keinerlei Schuld bewusst und ziehen sich auf vorbereitete Standardauskünfte zurück. Dabei betonen sie gerne: „Wir benutzen nur lebensmittelrechtlich korrekte Bezeichnungen und Zutaten“. Ansonsten ist meist eine Verzögerungs- und Hinhaltetaktik gefragt: „Wir werden das Produkt überprüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen“.
Der Kunde jedoch steht dem Treiben im Handel und in der Herstellung meist eher hilflos gegenüber. Wer beispielsweise verstehen will, was auf einer Verpackung steht und was letztlich auch in ihr drin ist, muss schon Lebensmittelchemiker sein – oder zumindest ständig ein Chemiebuch oder das Internet zur Klärung von Fach- und Spezialbegriffen zu Rate ziehen. Und wer hat dafür in jedem Fall schon Zeit?
Neue Spielregeln sind nötig
Doch was könnte helfen, die Essensfälschereien in den Griff zu bekommen? Für den Geschäftsführer von foodwatch, Thilo Bode, ist der Fall klar. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau sagte er im August 2010: „Wenn das Gesetz vorsieht, dass man ganz legal Geschmacksverstärker einsetzen darf, ohne sie als solche zu bezeichnen, oder wenn eine Fruchtcremefüllung keine Spur von Frucht enthalten muss, dann müssen die Gesetze geändert werden. Der Weg führt nur über die grundlegende Veränderung der Spielregeln.“ Die hatte aber auch schon die Presse in Bradford gefordert…
Dieter Lohmann
Stand: 26.11.2010