Gebirge sind äußerst vielfältige Lebensräume. Jede ihrer Höhenstufen ist durch besondere Klima- und Vegetationenverhältnisse geprägt und jede Höhenstufe besitzt eine andere Landschaftsform.
Eisige Gletscherzonen werden von Bergwäldern und Almwiesen abgelöst, karge Hochebenen von fruchtbaren Tälern durchzogen. Die in den Gebirgen lebenden Menschen wissen seit Generationen, sich die Besonderheiten jeder dieser Stufen zu Nutze zu machen – ob mit dem Reisabbau im subtropischen Himalaya, mit Viehweidewirtschaft in den Alpen oder mit dem Anbau von Gerste und der Yakzucht
in der Hochebene von Tibet.
Gebirge sind Lebensraum für zehn Prozent der Weltbevölkerung. Dabei sind ihre natürlichen Ressourcen wie Wasser, Holz, Rohstoffe und Energie nicht nur für die Bergbewohner, sondern für einen Großteil der Menschheit lebensnotwendig. Als „Wassertürme“ speichern Gebirge das kostbare Nass und speisen damit die in die Tiefländer reichenden Flüsse – was deren Nutzung oft erst möglich macht.
So garantieren die Himalayaflüsse Ganges und Indus die Bewässerung der landwirtschaftlich intensiv genutzten Ebenen und halten durch die mitgeführten Sedimente die Bodenfruchtbarkeit aufrecht.
Die Gebirgsressource Wasser trägt nicht nur zur Versorgung landwirtschaftlicher Nutzflächen oder ganzer Stadt- und Industriegebiete bei. Auch an deren Energieversorgung besitzt sie einen wichtigen Anteil. Das steile Gebirgsrelief eignet sich zur Anlage von Stauseen und Wasserkraftanlagen, in denen die Kraft des Wassers zu Strom umgewandelt wird.
Doch den Gebirgsriesen drohen Gefahren. Ihre Belastung – sei es durch Entwaldung und landwirtschaftliche Übernutzung oder durch Massentourismus – nimmt besorgniserregend zu. Von der Zerstörung des sensiblen Bergökosystems sind nach Schätzungen weltweit 600 Millionen Menschen unmittelbar betroffen. Dabei hat sich jede Bergregion – je nach ökonomischen Bedingungen und der politischen Lage – mit anderen Problemen auseinanderzusetzen.
So haben insbesondere Gebirge in Entwicklungsländern oft mit den Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen zu kämpfen. Nach Angaben der Food and Agricultural Organization (FAO) werden derzeit 23 von 27 Kriegen in Bergregionen ausgefochten. Traurige Beispiele sind neben dem seit Jahren andauernden Kashmir-Konflikt zwischen Pakistan und Indien die derzeitigen Kämpfe im afghanischen Hindukush. Auch die Besetzung Tibets durch die chinesische Regierung hatte zerstörerische Folgen für die dortige Bergwelt.
Gebirge wie die Alpen in Europa oder die Rocky Mountains in den USA werden demgegenüber von Touristenschwärmen geradezu annektiert. Aber nicht nur der Bau von Hotelkomplexen und Skianlagen verbraucht und zersiedelt die Landschaft. So verlegen dank Internet und Laptop in den USA viele Bürger ihren Arbeitsplatz zeitweilig in die landschaftlich reizvolle Bergregion der Rocky Mountains. Die Baubranche boomt, denn viele Amerikaner machen sich dort den Traum vom Zweitwohnsitz wahr. Auch in den europäischen Alpen hat dieser Trend längst Einzug gehalten. Die Alpen werden als Altersruhesitz in guter Wohnlage immer interessanter.
Ein gebirgsübergreifendes Problem stellt der globale Klimawandel mit seinen Auswirkungen auf die natürliche Dynamik in den Hochgebirgen dar. Wissenschaftler prophezeien, dass bei Anhalten der derzeitigen Erderwärmung 90 Prozent der Gebirgsgletscher im Jahr 2025 verschwunden sein werden. In der Folge werden Naturereignisse – wie Bergstürze, Schlammlawinen oder Überschwemmungen ansteigen. Während derartige Extremereignisse zunehmen, dringt der Mensch immer weiter in die Gebirgsräume vor. Hotelanlagen klammern sich an steile Hänge, Strassenserpentine erobern sich Gebirgspässe. Immer mehr Siedlungen entstehen unter riesigen Schutthalden – mitten in der Bahn möglicher Bergrutsche oder Lawinenabgänge. Der Mensch siedelt und wirtschaftet in Gefahrenbereichen, die eigentlich gemieden werden müssten.
Mit der Überbeanspruchung der Gebirge beraubt sich der Mensch seiner eigenen Lebensgrundlage. So lösen sich im nepalesischen Himalayagebirge die dortigen Bergwälder – auch Rückzugsraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten – buchstäblich in Rauch auf, da sie in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden – zu gross ist der Nutzungsdruck einer explosionsartig wachsenden Bevölkerung. Die Ressource Holz ist hier bereits nahezu vollständig aufgebraucht. Die Folgen der entwaldeten Hänge bekommen vor allem die angrenzenden Tiefländer zu spüren – in Form von Bergrutschen und Überschwemmungen.
Wie kann der Degradation der Gebirge in Zukunft Einhalt geboten werden, um sie weiterhin als Lebens-, Ressourcen- und Erholungsraum für die Menschen zu erhalten? Im Rahmen des von der UNO ausgerufenen internationalen „Jahr der Berge“ wird versucht, Lösungsstrategien zum Schutz der empfindlichen Riesen zu finden …
Stand: 23.03.2002