Der Tierwelt macht das künstliche Licht noch drastischer zu schaffen: Direkt betroffen sind besonders Insekten, die sich von Lichtquellen angezogen fühlen – Scheinwerfer mit hoher Leistung, aber auch Straßenlaternen kosten viele der Gliederfüßer das Leben. Junge Meeresschildkröten orientieren sich nach dem Schlüpfen am Mond- und Sternenlicht, um zum Wasser zu finden. In jüngerer Zeit überstrahlen jedoch die Lichter an Land das Funkeln auf dem Wasser. Der Schildkröten-Nachwuchs schlägt dadurch immer häufiger die falsche Richtung ein.
Orientierungslos im Scheinwerferlicht
Vögel leiden vor allem unter der Signalwirkung des Lichtes bei Nacht. Während Leuchttürme an den Küsten Schiffen den Weg weisen, können sie Vögel geradezu in die Irre leiten. Beim Zusammenprall mit den Türmen oder ihren Lampen sterben jährlich tausende Vögel. Noch dramatischer sind die Folgen der allgegenwärtigen Lichtverschmutzung für manche Zugvogelschwärme. Sie lassen sich auf ihrer Reise von den starken Lichtquellen am Boden ablenken und fliegen lange und erschöpfende Umwege.
Im Licht besonders starker Scheinwerfer bleiben die orientierungslosen Vögel manchmal regelrecht gefangen, bis sie schließlich erschöpft abstürzen. Tausendfach geschah dies an der aus 88 Scheinwerfern bestehenden Installation „A Tribute in Light“, die jährlich an der Stelle des World Trade Center an die Anschläge des 11. September 2001 erinnert. Aber auch Suchscheinwerfer oder die auffälligen Lichter auf den Dächern vieler Diskotheken stellen eine mögliche Gefahr dar.
Amseln werden zu Frühaufstehern
Wie beim Menschen reagiert auch die innere Uhr der Tiere auf die Lichtverschmutzung. Viele Tiere folgen wesentlich strikteren Tag-und-Nacht-Rhythmen als Menschen der heutigen Zeit. Daher sind sie auch anfälliger für Störungen. Im Großraum München beispielsweise verhielten sich Amseln im Stadtgebiet deutlich anders als die Vögel in einem Waldgebiet außerhalb der Stadt, wie Untersuchungen zeigten. Stadtamseln werden morgens früher aktiv als ihre Artgenossen auf dem Land – im Schnitt 30 Minuten vor Sonnenaufgang. Außerdem endet der Tag der Stadtamseln in der Stadt neun Minuten später. Waldamseln beginnen und beenden dagegen den Tag mit Sonnenauf- und -untergang.
Fingen die Forscher die Vögel ein und hielten sie unter Laborbedingungen, fernab von äußeren Einflüssen, so zeigten sich ebenfalls deutliche Unterschiede. Die innere Uhr der Stadtamseln lief etwa 50 Minuten schneller, war deutlich störanfälliger und weniger konstant. Der Lebensrhythmus der Vögel war demnach verglichen mit Amseln, die ohne Lichtverschmutzung lebten, aus dem Takt geraten und in ein neues Muster gezwungen.
Mehr Seitensprünge bei Kunstlicht
Bei den Blaumeisen wirkt sich ein Übermaß an Licht auf das Familienleben aus: Die Vögel leben normalerweise in Paaren, die Männchen gehen jedoch auch gelegentlich fremd und zeugen Nachwuchs mit anderen Weibchen. An beleuchteten Waldrändern geschieht dies viel häufiger, als im dunklen Inneren des Waldes. Das liegt vermutlich daran, dass die Männchen bei Licht früher am Tag mit ihrem Balzgesang beginnen. Der frühe Gesang gilt den Weibchen möglicherweise als Zeichen für die Qualität eines Männchens.
Die Blaumeisen-Weibchen legen außerdem unter Lichteinfluss im Schnitt ihre Eier früher ins Nest. Die frühere Eiablage könnte für den Nachwuchs kritisch werden, wenn die Phase des höchsten Futterbedarfs nicht mehr mit dem Zeitpunkt der maximalen Futterverfügbarkeit zusammenfällt. Solche Verschiebungen und Änderungen im Verhalten könnten unter Umständen Populationen in einzelnen Orten oder sogar ganze Arten bedrohen.
Futtersuche bei industriellem Vollmond
Manche Vögel profitieren allerdings vom zusätzlichen Licht. Der zu den Schnepfen gehörende Rotschenkel ist an fast allen Küsten Europas häufig und sucht normalerweise vor allem tagsüber nach kleinen Krebsen, Muscheln und anderer Nahrung. In dunklen Nächten dagegen ist der Vogel auf seinen Tastsinn angewiesen und stochert eher blind im Watt herum, was verglichen mit der Suche am Tag deutlich weniger effektiv ist.
Im Mündungsgebiet des Forth in Schottland sorgen Industrieanlagen jedoch rund um die Uhr für Helligkeit. Wissenschaftler um Ross Dwyer von der University of Exeter in Penryn fanden heraus, dass sich mit Sendern versehen Rotschenkel in diesen hell erleuchteten Bereichen anders verhielten als ihre Artgenossen in dunkleren Bereichen: Sie gingen bevorzugt nachts auf Futtersuche, was die Vögel normalerweise nur in hellen Vollmondnächten tun. „Es schien, als wenn das 24 Stunden brennende Licht der Grangemouth-Ölraffinerie für eine Art ständigen Vollmond in der Gezeitenzone sorgte“, erklärt Dwyer.
Die Anpassung an das Licht könnte den Rotschenkeln gleich einen doppelten Vorteil bringen, wie die Forscher erklären: Zum einen fänden sie mehr Futter, zum anderen aber schütze sie die Verlagerung der Futtersuche in die Nacht vor den tagsüber aktiven Fressfeinden. Denn tagaktive Greifvögel seien nachts nicht unterwegs, nachtaktive Jäger wie Eulen und Füchse mieden die hell erleuchteten Bereiche meist.
Ansgar Kretschmer
Stand: 12.12.2014