Die Idee eines von den Nutzern selbst bestückten und gepflegten Online-Lexikons gab es schon vor der Wikipedia: 1995 stellte der US-Programmierer Ward Cunningham sein erstes „Wiki“ ins Netz. Das Programm ermöglichte es jedem Besucher, Webseiten selbst anzulegen und zu ändern – ohne Programmierkenntnisse oder komplizierte Formatierungen. Deshalb auch der Name des Ganzen: „Wiki-wiki“ steht im Hawaiianischen für „schnell“.
Von Nupedia zur Wikipedia
Cunninghams erstes „Wiki“ hatte noch keine große Breitenwirkung. Aber die Idee fasste Fuß. In den folgenden Jahren stellte eine kleine Gemeinde von Enthusiasten immer neue Wikis zu verschiedenen Themen ins Netz. Die späteren Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Larry Sanger allerdings kannten das Konzept nicht, als sie im Jahr 2000 ihr erstes Online-Lexikon lancierten: Nupedia.
Bei Nupedia durften jedoch nur Fachleute Artikel verfassen und jeder Eintrag wurde ausgiebig geprüft – eine Peer-Review, wie sie auch in wissenschaftlichen Fachjournalen üblich ist. Das Organisationsprinzip Nupedias ähnelt darin dem der Wissenschaft, dass auch hier Veröffentlichungen in der Regel an Fachkompetenz und eine vorherige Qualitätsprüfung gebunden sind.
Doch genau das machte das System enorm träge: In den drei Jahren seiner Existenz brachte es Nupedia auf gerade Mal 24 fertige Artikel. Als Wales und Sanger jedoch vom Wiki-Konzept erfuhren, schwenkten sie um: Am 15. Januar 2001 gingen sie mit Wikipedia online – zunächst eher als „Spaßprojekt“ für die Autoren der Nupedia.
Eine neue Wissensautorität
Schnell zeigte sich, dass das freie, dezentrale Organisationsprinzip ein echter Selbstläufer war: Schon in den ersten zwei Monaten entstanden mehr als 2.000 neue Artikel. Und waren sie einmal online, konnte jeder Nutzer sie im Nachhinein ändern und bearbeiten – sogar ohne Registrierung. Wie es weiterging ist bekannt: Wikipedia avancierte innerhalb kürzester Zeit zur umfangreichsten Enzyklopädie und einer der beliebtesten Webseiten weltweit mit ungefähr 270 Sprachversionen und Nachahmer-Projekten in den verschiedensten Bereichen.
Heute wird die Wikipedia häufig sogar eher zu wissenschaftlichen Themen konsultiert als einschlägige Fachpublikationen. Ihre Popularität gibt ihr den Status einer faktischen Wissensautorität. Dies sorgt inzwischen dafür, dass die neue Wissensautorität auch von akademischer Seite kaum ignoriert werden kann. Denn es kann Wissenschaftlern kaum egal sein, wie sie und ihre Fächer hier repräsentiert werden. Somit ließe sich das Verhältnis von Wissenschaft und Wikipedia als eine Art „Zwangsehe“ charakterisieren.
René König für bpb.de/ CC-by-nc-nd 3.0
Stand: 29.01.2016