Neurowissenschaften

Machen Fremdsprachen rationaler?

Welchen Effekt die Wahl von Mutter- oder Fremdsprache auf die Emotionen haben

Möchtest du einen Apfel oder ein Stück Schokolade? Die Antwort auf diese Frage könnte auch von der Sprache abhängen, in der sie gestellt wurde. Denn ob wir unsere Mutter- oder eine Zweitsprache sprechen, beeinflusst, wie rational wir entscheiden. Doch auf welche Weise?

Person wirft Münze
Mit dem richtigen Einsatz kann sich Glücksspiel lohnen. © ICMA Photos/Coin TossCC-by 2.0

Rationaler auf der Fremdsprache?

Die Frage, ob Menschen in einer Fremdsprache andere Entscheidungen treffen, haben Psychologen bereits im Jahr 2012 in einer Studie untersucht. Dafür sollten die zweisprachigen Testpersonen ein Glücksspiel in Form des Münzenwerfens spielen. Die Anleitung dazu gab das Team um Boaz Keysar von der University of Chicago einer Hälfte ihrer Probanden in deren jeweiliger Muttersprache – Koreanisch oder Englisch. Die andere Hälfte der Gruppe erhielt ihre Instruktionen in der Fremdsprache, die sie seit mehreren Jahren erlernten.

Dann folgte das Münzenwerfen. Beim Gewinn des Spiels gab es 1,50 Euro, der Einsatz betrug einen Euro. Wenn man verliert, ist lediglich der Einsatz weg, bei einem Gewinn behält man den Euro und bekommt noch 1,50 hinzu. Doch obwohl sich eine Teilnahme demnach rational betrachtet lohnt, verweigern viele Menschen das Spiel. Der Grund: Emotional betrachtet wiegen Verluste für Menschen schwerer als Gewinne.

Es zeigte sich, dass nur knapp die Hälfte der in ihrer Muttersprache instruierten bereit war, das lohnende Münzenspiel mitzumachen. Demgegenüber wollten 71 Prozent der Testpersonen aus der Fremdsprachengruppe teilnehmen. Laut den Keysar und seinem Team zeigt dies, dass Entscheidungen in einer Fremdsprache eher nach logischen Aspekten gefällt werden. Emotionen und somit auch die emotionale Betrachtung der Verluste im Spiel treten in den Hintergrund. In der Muttersprache ist dies hingegen nicht der Fall.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Besser bilingual?
Wie Fremdsprachen unser Gehirn und Verhalten beeinflussen

Sind wir alle ein bisschen bilingual?
Zwei- und Mehrsprachigkeit in Deutschland und der Welt

Zweisprachigkeit – eine geheime Superpower?
Die vielen Vorteile der Bilingualität

Machen Fremdsprachen rationaler?
Welchen Effekt die Wahl von Mutter- oder Fremdsprache auf die Emotionen haben

„Hallo“ und „Hola“ im Hirn
Wie ändert Sprachenlernen die Gehirnstrukturen?

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Andere Moral bei Mutter- und Fremdsprache

Auf ähnliche Art und Weise beeinflusst die Nutzung von Fremd- oder Muttersprache auch, mit welcher „Brille“ wir moralische Dilemmata bewerten. Das zeigte sich bei einem Experiment, in dem Keysar und seine Kollegen ihren Probanden folgendes Szenario vorstellten: „Sie stehen über einem Bahngleis auf einer Brücke. Auf dem Gleis sind fünf Menschen festgebunden, ein Zug kommt direkt auf sie zu. Neben Ihnen steht ein korpulenter Mensch – wenn Sie ihn auf das Gleis schubsen, hält dies den Zug auf und rettet die fünf. Würden Sie das tun?“ Der Clou: Wieder wurde das Szenario einem Teil der Testpersonen in ihrer Muttersprache präsentiert, einem anderen Teil in einer Fremdsprache.

Trolley Problem
Beim „Trolley Problem“ soll man eine Person opfern, um fünf andere zu retten. © McGeddon/CC-by 4.0

Das Ergebnis: Tatsächlich taten sich die meisten Probanden in ihrer Muttersprache schwerer, einen Menschen aktiv zu opfern, um die fünf anderen auf dem Gleis zu retten. In der Fremdsprache zeigten die Testpersonen hingegen weniger Hemmungen. Als Grund vermuten die Forscher, dass die in der Familie gelernte Muttersprache enger mit Gefühlen und der Kultur zusammenhängt. Eine Fremdsprache wird hingegen in einem Klassenraum unter meist sachlichen Bedingungen gelernt und ist weniger emotional besetzt. „Menschen haben weniger Angst vor Verlusten, sind risikobereiter und weniger emotional verbunden, wenn sie in einer fremden Sprache denken“, fasst Keysar zusammen.

Expressive Muttersprachen

Umgekehrt empfinden mehrsprachige Menschen beim Sprechen ihrer Muttersprache intensivere Emotionen, etwa beschreiben sie ihre Kindheitserinnerungen lebhafter. Die Zweitsprache hingegen bietet in einer solchen Situation scheinbar eine emotionale Distanz, wodurch die Sprechenden weniger Freude, aber auch weniger Angst oder Scham empfinden.

Dieser Effekt zeigt sich unabhängig davon, wie emotional expressiv die jeweiligen Erst- und Zeitsprachen sind. In einer Studie mit zweisprachigen chinesisch- und englischsprachigen Personen fühlten sich die Probanden wohler, ihre Emotionen auf ihrer Zweitsprache Englisch auszudrücken, da es weniger soziale Einschränkungen gab. Doch gleichzeitig erlebten sie auf ihrer Muttersprache Mandarin intensivere Emotionen.

Doch wo liegen die Unterschiede im Gehirn von Ein- und Zweisprachigen?

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