Der enorm vergrößerte Conodont im Park von Meishan mag manchen Betrachter vielleicht belustigen. Doch das Ensemble hat auch etwas Zauberhaftes. Ein großes Monument, gekrönt vom Miniaturzähnchen eines ausgestorbenen aalförmigen Tiers, das nur Eingeweihte kennen, auf einer Säule in einem eigens angelegten Park! Gewiss, da spielt nationales Prestigedenken eine Rolle, nach dem Motto: „Wir haben den tollsten Stratotyp!“
Der Park von Meishan drückt aber vor allem eine tiefe Wertschätzung von Wissenschaft und Erkenntnis aus. Fragen nach dem Sinn nicht-anwendungsbezogener Grundlagenforschung verbieten sich hier. Während in Deutschland mehr und mehr paläontologische Institute geschlossen werden, blüht das Fach in China. Das Conodonten-Monument zeigt also den hohen Stellenwert, den die Wissenschaft in China genießt.
Ein Millimeter Massensterben
Doch zurück zur Perm / Trias-Grenze vor 250 Millionen Jahren. Was mag nur passiert sein, und wie sah die Welt damals aus? Schaudern überrieselt uns, wenn wir die Hand auf die Kalkbank Nummer 27 legen: Stirb und werde. Der Ringfinger liegt auf dem Perm und damit dem Paläozoikum, mit seinen fremdartigen Urahnen, den Riesenlibellen und säugetierähnlichen Reptilien. Der Mittelfinger berührt bereits das Erdmittelalter, und damit die Zeit unserer näheren Verwandten. Dazwischen, nur einen Millimeter breit, die Spur des größten Massensterbens der Erdgeschichte. „Et in Arcadia ego“, so lautete an antiken Grabstätten die Inschrift – eine Mahnung an die Lebenden, dass auch sie einst sterben müssen.
Ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen, eine verwelkte Blume, eine Sanduhr – das waren einst die typischen Vanitas-Motive, die an die Kurzlebigkeit der Gegenwart erinnerten. Der arkadische Park von Meishan ist weit mehr als nur ein patriotisches Monument oder eine wissenschaftliche Markierung. Er ist ein zeitgenössisches Memento Mori, ein Grabmal für eine viele Millionen Jahre dauernde Epoche. Aus der Tiefe der Zeit raunt es uns an: nicht nur unser persönliches Leben ist vergänglich – das Leben eines ganzen Erdzeitalters selbst ist es auch.
Alexander Nützel / Mekkas der Moderne
Stand: 07.01.2011