Die Ablehnung konventioneller Medizin durch viele Homöopathen birgt auch Gefahren, wenn es um Vorbeugung und Schutz vor potenziell tödlichen Infektionskrankheiten geht: Der Physiker und Wissenschaftsautor Simon Singh berichtet beispielsweise von einem Versuch, bei dem eine Mitarbeiterin inkognito bei mehreren Homöopathen nachfragte, wie sie sich bei einer Reise in die Tropen vor Malaria schützen könne. Das Ergebnis: Alle zehn Homöopathen gaben ihr ein homöopathisches Präparat, das eine Infektion verhindern sollte. Keiner empfahl ihr konventionelle Malariamittel oder wies sie wenigstens auf die Wichtigkeit eines Schutzes vor Mückenstichen hin.
Als Erklärungsmodell für die Wirksamkeit bot ein Homöopath an: „Diese Mittel sorgen dafür, dass Ihre Lebensenergie quasi kein malariaförmiges Loch enthält. Die Malariamoskitos können dann nicht kommen und dieses Loch ausfüllen.“ Eine Homöopathin erklärte zudem, Homöopathie sei auch wirksam gegen Infektionen mit Gelbfieber, Dysenterie und Typhus.
Homöopathische „Vorbeugung“
Dass solche Empfehlungen kein Einzelfall sind und auch von deutschen Organisationen vertreten werden, zeigt der Blick in den Patientenratgeber der DZVhÄ: „…die homöopathische Vorbeugung von Erkrankungen…ist möglich, wenn im Rahmen einer Epidemie oder bei ansteckenden Krankheiten im persönlichen Umfeld die zu erwartende Krankheit in ihren Besonderheiten und charakteristischen Symptomen bekannt ist…“
Die Folge solcher Ratschläge zeigte wenig später ein Fall, der im renommierten „British Medical Journal“ (BMJ) beschrieben wurde: Eine Touristin, die ausschließlich auf die Homöopathie als Malariaschutz vertraut hatte, wurde prompt auf ihrer Reise nach Togo in Westafrika infiziert. Zwei Monate lang rangen Intensivmediziner um ihr Leben, mehrfach war sie aufgrund von multiplen Organversagen dem Tode nahe.
Gibt es homöopathische Impfungen
Fragwürdig ist auch die Haltung vieler Homöopathen zu Schutzimpfungen. Sicher lässt sich darüber streiten, ob wirklich alle empfohlenen Impfungen nötig sind. Bei vielen gefährlichen oder sogar tödlichen Krankheiten sind sie jedoch noch immer der einzige wirksame Schutz. Auf sie zu verzichten hieße im Extremfall, sein Leben oder das seines Kindes zu gefährden. Das sehen zumindest die homöopathischen Ärzte ähnlich: „Es gibt keine ‚homöopathischen Impfungen‘. Kein homöopathisches Mittel ist in der Lage, eine nachweisbare Immunisierung hervorzurufen. Vor dem Ersatz einer notwendigen Impfung durch die Einnahme homöopathischer Medikamente wird gewarnt“, schreiben sie in einem Patientenratgeber.
Dennoch lehnen viele Homöopathen Impfungen, gerade für Kinder, kategorisch ab – da ihrer Ansicht nach das Risiko der Nebenwirkungen größer sei als das schwerer Erkrankungen. Im Fokus der Diskussion steht dabei oft die im Alter von einem Jahr empfohlene Kombinationsimpfung gegen Mumps-Masern-Röteln (MMR). Masern verlaufen oft komplikationslos, können aber bei jedem 1.000sten Betroffenen eine Hirnhautentzündung und im Extremfall dadurch schwere Hirnschädigungen und sogar den Tod zur Folge haben. Weltweit sterben jedes Jahr mehrere hunderttausend Kinder vor allem in den Entwicklungsländern daran.
Asthma, Autismus und andere Mythen
Das hindert aber selbst homöopathische Ärzte nicht daran, die Impfung dagegen abzulehnen und zeitweilig sogar die Teilnahme an „Masernpartys“ zu befürworten, die nach dem Infektionsschutzgesetz sogar strafbar sind. Vor allem in homöopathischen Kreisen hält sich zudem hartnäckig das Gerücht, dass die Masernimpfung Autismus, Allergien, Asthma oder Diabetes auslösen könnte. Diese Annahmen sind jedoch widerlegt, eine Studie zum Autismus stellte sich sogar als Fälschung heraus. Der ursächliche Zusammenhang von Hirnhautentzündungen zur Masernimpfung ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts umstritten und konnte bisher nicht eindeutig belegt werden.
Die vor allem in Deutschland verbreitete Impfverweigerung führte unter anderem dazu, dass im Jahr 2006 in Nordrhein-Westfalen eine Masern-Epidemie ausbrach, bei der von den rund 2.000 Fällen immerhin 206 wegen schwerer Komplikationen stationär behandelt werden mussten.
Aufklärung als oberstes Gebot
Solche Fälle lassen sich sicher nicht direkt der Homöopathie anlasten. Sie zeigen aber sehr deutlich, wie wichtig eine sachliche und wissenschaftliche fundierte Aufklärung ist – sowohl durch die Schulmedizin als auch seitens der Homöopathie. „Was ich Homöopathen vorwerfe, sind nicht die Placebos, die sie verordnen, sondern ihr gläubiges Festhalten an wissenschaftlich unhaltbaren Ideen“, erklärt Rainer Wolf vom Biozentrum der Universität Würzburg.
Der Ansatz, mit sanften Mitteln und ganzheitlich heilen zu wollen und den gesamten Menschen mit einzubeziehen, ist ja durchaus positiv und in Teilen sogar vorbildlich für die konventionelle Medizin. Und in vielen Bereichen, in denen diese an ihre Grenzen stößt, gerade bei chronischen Schmerzen, befürworten auch viele Mediziner den Einsatz alternativer Heilmethoden. „Obwohl der Placebo-Effekt prinzipiell mit einer Selbsttäuschung verbunden ist, ist er keine Einbildung, und es ist keine Selbsttäuschung, wenn er hilft“, so Wolff. „Er bietet vielmehr eine wunderbare Chance, die körpereigenen Selbstheilungssysteme zu mobilisieren.“
Fragwürdig wird es aber dann, wenn Präparaten eine vermeintlich wissenschaftlich fundierte Wirkung zugeschrieben wird, die so nachweislich nicht existieren kann.
Nadja Podbregar
Stand: 26.03.2010