Was löst das „Zappelphillip-Syndrom“ aus? Diese Frage können Mediziner noch nicht vollständig beantworten. Sie gehen heute davon aus, dass es nicht die eine Ursache für die Störung gibt, sondern dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen.
Grundsätzlich klar scheint jedoch: Wahrscheinlich liegt der Erkrankung eine Stoffwechselstörung des Gehirns zugrunde. So zeigen Untersuchungen, dass bei ADHS-Patienten die Wirkung wichtiger Botenstoffe in vielen Teilen des Gehirns beeinträchtigt ist. Neurotransmitter wie Dopamin, Noradrenalin oder Serotonin werden oft nur unzureichend ausgeschüttet oder zu schnell wieder abgebaut.
Hirnbotenstoffe auf Sparflamme
Diese „Hirnhormone“ regulieren die Weiterleitung von Signalen zwischen den Nervenzellen – und steuern dadurch, wie unser Gehirn einströmende Reize verarbeitet und filtert. So überträgt Noradrenalin etwa Signale in Bereichen, die für die zielgerichtete Aufmerksamkeit und Aktivität zuständig sind; Serotonin ist unter anderem in Zentren der Impulskontrolle aktiv. Auch Dopamin steuert Aufmerksamkeit, Konzentration und Motivation. Der Botenstoff gilt als wichtigste Stellschraube für die Entstehung von ADHS.
Die Fehlregulierung des Hirnstoffwechsels resultiert in einem schlecht funktionierenden Reizfilter – und führt bei den Betroffenen damit zu den typischen Symptomen wie leichter Ablenkbarkeit, mangelnder Konzentration oder Impulsivität. Experten sprechen von einer verminderten Fähigkeit zur Selbststeuerung.
Grundlage in den Genen
Eine gewisse Neigung zu ADHS liegt dabei offensichtlich schon in den Genen. Studien mit Zwillingen belegen dies eindrücklich. Demnach erkranken bei eineiigen Zwillingen in 60 bis 80 Prozent der Fälle beide Geschwisterteile – bei zweieiigen nur in knapp 30 Prozent der Fälle.
Zudem konnten Wissenschaftler bereits einzelne Regionen im menschlichen Erbgut aufspüren, die bei Patienten mit ADHS oftmals typische Veränderungen aufweisen. Diese liegen vor allem in jenen Bereichen, die für die Produktion und Übertragung von Dopamin verantwortlich sind.
Umwelteinflüsse fördern das Risiko
Neben diesen genetischen Faktoren wirken aber auch äußere Einflüsse bei der Entwicklung der Störung mit. So können zum Beispiel Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt das Risiko für ADHS erhöhen. Auch Alkohol-, Nikotin- oder anderer Drogenkonsum in der Schwangerschaft kann sich negativ auswirken.
Immer wieder diskutiert wird in diesem Zusammenhang zudem die möglicherweise schädigende Wirkung durch eine frühe Belastung mit Umweltgiften. So zeigen Studien, dass Stoffe wie Weichmacher Verhaltensstörungen und geistige Defizite bei Kindern fördern können – und zwar vor allem dann, wenn der Kontakt bereits in der vorgeburtlichen Phase stattfindet.
Der Grund: Im Mutterleib läuft der wichtigste Teil der Hirnentwicklung ab. „Wenn man diesen Prozess stört, kann das dauerhafte Folgen haben“, sagt die Umweltmedizinerin Federica Perera von der Columbia University in New York. Die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung könne eine solche sein.
Faktor Elternhaus
Ebenso prägt das soziale Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, ob und wie sich eine veranlagte Aufmerksamkeitsstörung zeigt. Wenngleich das Elternhaus niemals die einzige Ursache einer ADHS ist, kann das Verhalten der Erziehungsberechtigten den Verlauf der Erkrankung beeinflussen – im Positiven wie im Negativen.
„Ob Symptome so auffällig werden, dass von einer wirklichen Störung gesprochen werden muss und wie diese im Weiteren verläuft, wird wesentlich davon beeinflusst, auf welche Lern- und Umweltbedingungen diese Kinder treffen und ob auf ihre ‚Besonderheit‘ angemessen eingegangen wird“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dazu in einem Ratgeber.
Daniela Albat
Stand: 22.07.2016