Hormone und Signalstoffe sind längst nicht die einzigen Waffen im manipulativen Arsenal unserer Darmflora. Die vielseitigen Mikroben beeinflussen unser Verhalten und unsere Esslust auch direkt über das Nervensystem. Denn über das sogenannte „Darmhirn“ verfügen sie sozusagen über einen direkten Draht zu unserem Gehirn.
Nervenachse zwischen Bauch und Hirn
Im Zentrum des Zwiegesprächs zwischen Gehirn und Bauchraum steht der Vagusnerv. Er verbindet die rund 100 Millionen Nervenzellen im Verdauungssystem mit der Basis unseres Gehirns und ist damit die zentrale Kommunikationsachse zwischen Kopf und Bauch. Über ihn signalisiert unser Verdauungstrakt unter anderem, wann der Magen gefüllt ist, umgekehrt erhalten die inneren Organe „Anweisungen“ vom Denkorgan.
Blockiert man bei man Mäusen beispielsweise den Vagusnerv, führt dies zu Appetitlosigkeit und drastischer Gewichtsabnahme. Wird der Vagusnerv dagegen durch bestimmte Signalstoffe wie den Botenstoff Norepinephrin angeregt, stimuliert er den Appetit und bringt selbst satte Ratten dazu, immer weiter zu fressen – egal wie voll ihr Magen ist.
Manipulierte Signale
Und hier kommen die Darmbakterien ins Spiel: Die mit dem Vagusnerv verknüpften Nervenzellen des Verdauungstrakts interagieren mit dem Milieu im Darm über zahlreiche Rezeptoren an ihrer Zelloberfläche. Diese Andockstellen reagieren beispielweise auf Signalstoffe, die bei der Verdauung anfallen, aber auch auf die Anwesenheit von bestimmten Bakterien und ihren Abbauprodukten.
„Bisherige Ergebnisse deuten durchaus darauf hin, dass Mikroben die Signale des Vagusnervs manipulieren können und darüber auch unser Essverhalten“, sagen Carlo Maley von der University of California in San Francisco und seine Kollegen. Studien zeigen beispielsweise, dass einige Mikroben Botenstoffe produzieren, die den Vagusnerv aktivieren und so vermehrte Esslust auslösen.
Veränderte Andockstellen
Andere Bakterien manipulieren gezielt die Andockstellen für Endocannabinoide und Opioide im Darm. Diese körpereigenen Drogen werden im Darm unter anderem produziert, wenn wir fettreiche Nahrung wie Pommes Frites oder Chips essen. Schon der Geschmack auf der Zunge reicht dafür aus, wie Forscher 2011 herausfanden.
Docken die ausgeschütteten Botenstoffe an den Rezeptoren im Darm an, signalisiert der Vagusnerv ans Gehirn: „Mehr davon“ und unsere Lust auf Fettiges, Salziges und Co steigt. Wenn nun jedoch Darmmikroben die Andockstellen für die Endocannabinoide und andere Signalstoffe verändern, greifen sie auch in die Schaltkreise ein, die unsere Lust auf solcherart ungesunde Genüsse kontrollieren.
Sind wir also den Wünschen unserer mikrobiellen Mitbewohner hilflos ausgeliefert? Nicht unbedingt. Immerhin besitzen wir die Fähigkeit, bewusste, rationale Entscheidungen zu treffen und damit unsere Impulse durch Vernunft im Zaum zu halten. Zudem zeigen Studien, dass Meditation, Yoga, aber auch Sport, die Aktivität des Vagusnervs senken und dadurch den Mikrobensignalen sozusagen entgegenwirken.
Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2016