Schon jetzt lösen die Leistungen generativer künstlicher Intelligenzen wie ChatGPT, BARD oder LamBDA Staunen und Faszination aus – selbst bei ihren Schöpfern. Denn mit jeder Skalierung der Großen Sprachmodelle und neuronalen Netze zeigen diese KI-Systeme einen riesigen Sprung in ihren Fähigkeiten.
Entwicklung in rasantem Tempo
Ein Beispiel ist das generative KI-System, auf dem ChatGPT basiert: Die Ende 2022 vom US-Unternehmen Open AI lancierte Version GPT-3.5 verblüffte zwar die Welt mit ihren Fähigkeiten, Texte aller Art zu verfassen, versagte aber in vielen akademischen Tests faktischen Wissens. Auch in Mathematik, im Programmieren oder im Rechnungswesen schnitt GPT-3.5 deutlich schlechter ab als die meisten Menschen – selbst im bayrischen Abitur wäre die künstliche Intelligenz krachend durchgefallen.
Doch das änderte sich mit der Folgeversion GPT-4 drastisch. Das neue, auf mehr Parametern, Trainingsdaten und leistungsfähigeren neuronalen Netzen basierende System hat ersten Schätzungen zufolge zwei Drittel mehr Fähigkeiten als sein Vorgänger. Die KI meisterte nahezu alle Tests, in denen GPT-3.5 noch versagte, bestand das bayrische Abitur, das US-Jura-Examen sowie professionelle US-Zertifikatsprüfungen im Rechnungswesen. Zudem kann das System nun auch Bilder, mathematische Operationen und Computercode besser verarbeiten und erstellen als zuvor.
Erster Schritt zur „Artificial General Intelligence“?
„Obwohl es sich nur um ein reines Sprachmodell handelt, demonstriert schon die frühe Version von GPT-4 bemerkenswerte Fähigkeiten in einer Vielzahl von Gebieten und Aufgaben, darunter in Abstraktion, Verständnis, visuellen Fähigkeiten, Coding, Mathematik, Medizin und Jura, aber auch im Verstehen menschliche Motive und Emotionen“, konstatierte ein Microsoft-Forschungsteam um Sebastien Bubeck im April 2023 nach einem umfassenden Test des KI-Systems. Das Team attestierte dem KI-System in einigen Aufgabenbereichen sogar schon erste „Funken“ einer echten Intelligenz.
„All dies lässt uns zu dem Schluss kommen, dass GPT-4 ein signifikanter Schritt zu einer künstlichen allgemeinen Intelligenz (AGI) ist“, so Bubeck und seine Kollegen. Als „Artificial General Intelligence“ (AGI) bezeichnen KI-Forschende Systeme, die uns Menschen in ihren kognitiven Fähigkeiten ebenbürtig sind oder uns sogar übertreffen. Eine solche künstliche Intelligenz, auch als starke KI bezeichnet, verfügt nicht nur über genauso viel Wissen und Denkfähigkeit wie ein Mensch, sie kann auch vorausplanen, aus Erfahrungen lernen und sich selbstständig weiterentwickeln. Einigen Definitionen nach erfordert eine AGI auch die Fähigkeit zu zielgerichtetem Handeln und zur Selbsterkenntnis.
Keine bloße Science-Fiction mehr
Aber wie realistisch ist es, dass maschinelle Systeme und im Speziellen Große Sprachmodelle, tatsächlich eine echte Intelligenz entwickeln? Genau darüber wird aktuell unter KI-Experten heftig debattiert. Lange galt AGI als bloße Science-Fiction, allein schon, weil es den verfügbaren Systemen an Flexibilität und der Fähigkeit zum selbstständigen Lernen mangelte. Mit der Entwicklung neuronaler Netze und generativer Transformer-Modelle hat sich dies jedoch gewandelt – und damit auch die Einschätzung vieler ursprünglich skeptischer KI-Forscher.
Zu diesen gehörte auch der britische KI-Forscher Geoffrey Hinton, einer der Pioniere in der Entwicklung künstlicher neuronaler Netze. „Nur wenige glaubten, dass diese Systeme tatsächlich klüger werden könnten als Menschen. Die meisten – und auch ich – dachten, dass es bis dahin noch sehr lange dauern würde. Ich schätzte, dass wir 30 bis 50 Jahre oder noch länger davon entfernt wären. Aber das hat sich offensichtlich geändert“, erklärte er im Mai 2023 gegenüber der New York Times.
Schon da oder noch Zukunft?
Auch Microsoft-Gründer Bill Gates hält es nur noch für eine Frage der Zeit, bis KI-Systeme eine allgemeine Intelligenz entwickeln: „AGI existiert noch nicht. […] Aber mit der Ankunft des maschinellen Lernens und der wachsenden Computerleistung sind fortgeschrittene künstliche Intelligenzen schon Realität – und sie werden sehr schnell sehr viel besser werden“, schreibt er im April 2023 in seinem Blog. Viele große Namen in der KI-Branche schätzen heute, dass es weniger als ein Jahrzehnt dauern wird, bis AGI erreicht ist – vielleicht sogar weniger.
Andere KI-Experten sehen sogar in aktuellen KI-Systemen schon erste Anfänge einer AGI, wie eine von der Stanford University im April 2023 durchgeführte Umfrage unter Computerwissenschaftlern und KI-Forschern ergab. 56 Prozent der Befragten hielten es demnach für wahrscheinlich, dass generative Modelle schon Anzeichen einer allgemeinen Intelligenz zeigen. Zudem gibt es erste Gerüchte darüber, dass das zurzeit von OpenAI entwickelte Sprachmodell GPT-5 eine solche AGI erreichen könnte.
Aber was heißt dies konkret? Wie erkennt man, ob ein KI-System schon eine allgemeine Intelligenz entwickelt hat?