Erste Verdachtsmomente, dass mit RX J1856 etwas nicht stimmen kann, kamen schon im Frühherbst 1997 nach ersten Abschätzungen auf. Damals erklärte Fred Walter, Astrophysiker an der Staats-Universität von New York, Stony Brook, mit überraschtem Blick auf die winzigen Ausmaße des Sterns: »Das bringt den Neutronenstern unangenehm nahe an die theoretische Grenze, die festlegt, wie klein ein solcher Stern sein darf.«
Astronomen kennen eine wichtige Massegrenze, die bestimmt, was aus einem Stern wird, wenn er das Zeitliche segnet. Sonnen wie die unsere sind nicht »schwer« genug, um ein besonders spektakuläres Ende zu nehmen und sich nach dem Kollaps in einen Neutronenstern zu verwandeln. Wenn ihr gesamter Wasserstoff erst einmal verbrannt ist, gerät die Sonne aus dem Gleichgewicht. Der Strahlungsdruck sackt ab, die Gravitation überwiegt und zieht die Massen nach innen.
Am Ende eines energetischen Machtkampfes siegt die Schwerkraft und lässt die Gaskugel in sich zusammenstürzen. Atome brechen dabei auf, die Materie »entartet«, wobei die nun freigesetzten Hüllenelektronen an die Kerne gedrückt werden. Was hier entsteht, ist ein »Weißer Zwerg«, die komplette Sonne ist bei gleich gebliebener Masse auf den Durchmesser der Erde geschrumpft. Eine erstklassige Schrottpresse, die einen Mittelklassewagen auf das Volumen eines Spielwürfels reduzieren könnte.
Und das ist nur der Anfang. Massigere Sterne als die Sonne erleben einen noch erstaunlicheren Kraftakt. Sobald sie am Ende ihres Daseins noch rund die Hälfte mehr als unser Heimatstern auf die Waage bringen und damit über der so genannten Chandrasekhar-Grenze liegen, bekommen sie eine Freikarte ins Reich der Neutronensterne – mit dem Haken, dass es kein Zurück mehr gibt.
Beim Kollaps werden die Elektronen immer energiereicher. Schließlich prasseln sie nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durchs hyperdichte Gas und werden dabei in die positiv geladenen Wasserstoffkerne gehämmert. Diese Protonen bilden mit den negativen Elektronen nun Neutronen, die dem Kind auch seinen Namen geben: Neutronenstern. Der sowjetische Physiker Lew Landau soll deren Existenz bereits wenige Stunden nach Entdeckung der neutralen Kernteilchen im Jahr 1932 vorhergesagt haben.
Nur ein Jahr später verbanden die beiden Amerikaner Walter Baade und Fritz Zwicky das Phänomen der ungeheuren Supernova-Explosionen mit der Entstehung von Neutronensternen. Es sollte noch bis 1967 dauern, dann stießen die englische Astronomin Jocelyn Bell und der spätere Physik-Nobelpreisträger Anthony Hewish auf Radiopulse des ersten rotierenden Neutronensterns, eines so genannten Pulsars.
Astronauten der Zukunft, die einen solchen Sternrest besuchen wollten, wären buchstäblich platt. Die gegenüber unserer Erde viele Milliarden mal höhere Oberflächenschwerkraft würde sie in interstellare Flundern verwandeln. Jeder Kubikzentimeter der Materie eines Neutronensterns wiegt soviel wie eine Milliarde Mittelklasseautos!
Stand: 19.09.2002