Das Rätsel um die Rückseite des antiken „Himmelscomputers“ klärt sich erst ab 1989, als eine Forschergruppe um Michael Wright vom Londoner Wissenschaftsmuseum den Mechanismus von Antikythera erstmals im Computertomografen untersucht.
Die Aufnahmen zerlegen die Fragmente des Geräts in mehr als 700 virtuelle Scheiben und machen so weitere verborgene Zahnräder und auch Beschriftungen an den Innenseiten und der Rückfront sichtbar. 2005 wiederholt das Antikythera Research Projekt diese Untersuchung mit noch hochauflösenderen CT-Aufnahmen.
Zyklen von Sonne und Mond
Das Ergebnis: Die Zifferblätter auf der Rückseite sind eine erstaunlich komplexe Anzeige von wiederkehrenden und miteinander verknüpften Zyklen von Mond und Sonne. So zeigt das obere, spiralige Zifferblatt den 235 Mondmonate umfassenden Meton-Zyklus – eine Zeitspanne, die genau 19 Sonnenjahren entspricht. Schon die Babylonier nutzten diesen Zyklus zur Synchronisation ihres Mond- und Sonnenkalenders mithilfe von Schalttagen. Ein kleinerer Einsatz im Zentrum dieser Anzeige zeigt den längeren, 76 Sonnenjahre umfassenden Kallippischen Zyklus an, der von griechischen Himmelsgelehrten ebenfalls zur Kalendersynchronisation verwendet wurde.
Das untere Spiral-Zifferblatt auf der Rückfront des Antikythera-Mechanismus besitzt 223 Unterteilungen und zeigt den rund 18-jährigen Saros-Zyklus an. Dieser markiert die Zeitperiode, in der sich Sonnen- und Mondfinsternisse wiederholen und erlaubt so eine Vorhersage dieser Ereignisse. Archäologische Funden wie der Sonnenwagen von Trundholm oder die Goldhüte lassen vermuten, dass dieser Zyklus wahrscheinlich schon in der Bronzezeit bekannt war. Im Zentrum des Saros-Zifferblatts findet sich ein Einsatz, der den drei Saroszyklen umfassenden Exeligmos-Zyklus anzeigt.
Das komplexeste Gerät der Antike
Der Antikythera-Mechanismus verknüpfte demnach gleich mehrere astronomische und kalendarische Anzeigen und Funktionen miteinander. Sogar die Olympiaden, die vierjährige Zeitspanne zwischen zwei olympischen Spielen, konnte man an einer der Anzeigen ablesen. „Das neue Bild, das wir von dem Antikythera-Mechanimus haben ist komplexer als das von Price. Seine Beschreibung als ‚Kalender-Computer‘ passt daher nicht länger. Auch der Bezeichnung ‚Planetarium‘ wie Rehm es nannte, können wir nicht länger folgen“, konstatiert Alexander Jones von der New York University.
Stattdessen handelt es sich bei dem Antikythera-Mechanismus um das mit Abstand komplexeste Gerät der Antike. Es kombiniert komplexe Anzeigen und Vorhersagen der Himmelsmechanik mit verschiedenen Kalendern, Peilhilfen und Zeitgebern. „Es ist jedem anderen Uhrwerk-Mechanismus von ähnlicher Komplexität um mehr als ein Jahrtausend voraus“, erklären die Forscher des Antikythera-Projekts. Aus dem Altertum ist bisher nichts Vergleichbares bekannt.
„Ein enormer Glücksfall“ – und dennoch rätselhaft
„Das wir rund ein Viertel des Originalobjekts geborgen haben, darunter wesentliche und zusammenhängende Teile seines Rädermechanismus, ist ein enormer Glücksfall“, sagt Jones. „Dadurch kennen wir heute rund drei Viertel von dem, was passierte, wenn jemand damals die Kurbel an der Seite bediente – und können den Rest zumindest erraten.“
Tatsächlich existieren heute schon mehrere Nachbauten des Antikythera-Mechanismus, die sein komplexes Räderwerk und seine Anzeigen in Aktion zeigen. Die große Frage jedoch ist: Wo, wann und von wem wurde der Mechanismus von Antikythera damals eingesetzt?