Das grundlegende Ich-Gefühl ist sehr eng mit unserer Körpererfahrung verknüpft. Diese Erfahrung kann beispielsweise nach einem Schlaganfall gestört sein, bei dem es zu einer Blutung in der rechten Hirnhälfte kommt. Bei bestimmten Zerstörungen in dieser Hirnhälfte kann bei dem Patienten das Gefühl entstehen, dass sein linker Arm nicht mehr zu ihm gehört.
„Fremde“ und „anarchische“ Hand
Wir sprechen dann von einem „Alien-Hand“-Syndrom: Der linke Arm wird als Fremdkörper empfunden. Das Bewusstsein der „Zu-mir-Gehörigkeit“ der Körperteile ist gestört. Im Unterschied dazu gibt es auch Patienten mit einer Läsion in der linken Hirnhälfte, die ihre rechte Hand zwar noch als ihre Hand empfinden, aber deren Handlungen als nicht mehr unter ihrer Kontrolle stehend erleben.
Bei solchen Störungen der Urheberschaft der eigenen Handlungen wird die Hand als selbständig agierend empfunden (Anarchic Hand Syndrom): Ein Patient, der im Gespräch mit dem Arzt ist, bemerkt zunächst nicht, dass seine rechte Hand einen Bleistift ergriffen hat und damit herum kritzelt. Als er es bemerkt, ist er stark irritiert und nimmt mit der kontrollierbaren linken Hand seiner rechten Hand den Bleistift ab.
Selbst-Erklärungsmodell wird angepasst
Es ergibt sich ein Paradox: Der Arm ist eindeutig Teil der biologischen Einheit Mensch, doch das erlebte Ich empfindet den Arm nicht mehr als ins Ich eingeschlossen. Dieses Paradox zieht oft eine zweite Stufe der Störung auf der Ebene der Zuschreibung von Gedanken nach sich, die die RUB-Forscher in einem zweistufigen Modell von Ich-Gefühl und Ich-Zuschreibung ausgearbeitet haben.
Zunächst können wir die Grundidee des Zweistufen-Modells in Fortführung des Beispiels mit der fremden Hand einführen: Es ist nicht leicht für einen Menschen, mit stark irritierenden Störungen des Ich-Gefühls („Der linke Arm gehört nicht zu mir“) zurecht zu kommen, ohne das Überzeugungssystem zu „verrücken“. Passt man seine Überzeugungen in einer wahnähnlichen Weise an, so spricht man von Somatoparaphenie: Der linke Arm wird nicht nur als nicht mehr zu dem Ich gehörig erlebt, sondern explizit einer anderen Person zugeschrieben.
Ein Dialog verdeutlicht diesen Fall:
Arzt: Wessen Arm ist das?
Patient: Es ist nicht meiner!
Arzt: Wem gehört er dann?
Patient: Es ist der meiner Mutter.
Arzt: Aber wie um alles in der Welt kann der hier sein?
Patient: Ich weiß es nicht. Ich habe ihn in meinem Bett gefunden.
Arzt: Wie lange ist er schon da?
Patient: Seit dem ersten Tag.
Es wird deutlich, dass hier nicht nur das Ich-Gefühl, sondern auch die Fähigkeit der Zuschreibung von Gedanken gestört ist: Die Erklärungen werden unvernünftig, sie sind für einen Beobachter nicht mehr nachvollziehbar. Dieser Fall belegt die Zweistufigkeit der Prozesse bei Ich-Störungen, wobei ein Ich-Gefühl einerseits und die Fähigkeit der Zuschreibung von eigenen Gedanken andererseits zu unterscheiden sind.
RUBIN / Albert Newen, Leon de Bruin
Stand: 29.04.2011