Ob Nährstoffmangel, Insekten, Pilze, Bakterien oder Viren: Es gibt viele Faktoren, die selbst den größten und widerstandsfähigsten Baum krankmachen können. Forstwissenschaftler wissen genau, auf welche Symptome sie achten müssen – und manche sind auch für Laien gut zu erkennen: Verliert ein Baum mitten im Sommer plötzlich Blätter oder Nadeln, ist sein Laub verfärbt oder welk, sind das eindeutige Krankheitszeichen.
Kleiner Erreger, großer Schaden
Der sogenannte Baumkrebs ist ebenfalls ein verräterisches Indiz: Durch eine Infektion verursachte Wunden versucht die Pflanze durch die Bildung von neuem Gewebe zu schließen. An Zweigen, Ästen oder am Stamm entstehen dabei große Wucherungen, die an ein Krebsgeschwür erinnern. Auch eine aktuell vermehrt grassierende Erkrankung kann diese Schutzreaktion hervorrufen. Der Patient: die Rosskastanie (Aesculus hippocastanum).
Die Art ist kein neues Sorgenkind, doch diesmal ist ihre Situation besonders kritisch. Bis vor kurzem galten noch die gefräßigen Larven der nur fünf Millimeter große Miniermotte (Cameraria ohridella) als der größte Feind der Kastanie. Sie sorgen dafür, dass die Blätter braun werden und schließlich früh abfallen. Jetzt plagt viele Pflanzen zusätzlich ein noch kleinerer Schädling, der aber umso tödlicherer ist: das Bakterium Pseudomonas syringae pv. aesculi.
Blutende Rinde
Der stäbchenförmige Erreger ist auf die Rosskastanie spezialisiert und legt sich – getragen von Wind, Regen- oder Nebeltropfen – auf ihre Blätter, Früchte und Blüten. Dort reicht schon eine winzige Wunde, damit das Bakterium den Baum infizieren kann. Problemlos dringt es zum Beispiel an Stellen ein, wo Zweige abgeknickt oder Blätter abgefallen sind.
Die Folgen sind unübersehbar: Tritt die Kastanienkrankheit auf, bekommt die Rinde Risse und schwarze, nass-„blutende“ Wunden, die dann eine gute Angriffsfläche für holzzersetzende Pilze bieten. Das Laub des Baumes wird schütter, sein Holz faul. Schließlich schwächt der Pilzbefall die Pflanze so, dass sie ihre eigenen Äste nicht mehr tragen kann.
Bedenkliche Entwicklung
Nachgewiesen wurde das Bakterium erstmals in den 1970er Jahren – allerdings in Indien. In Europa kam der Erreger zunächst in England und den Niederlanden vor und hat sich von dort mittlerweile in ganz Mitteleuropa ausgebreitet. In Deutschland schlug er erstmalig im Jahr 2007 zu. Ließ die Infektion zunächst nur die Rinde absterben, ist der Erreger nun offenbar aggressiver geworden.
Seit einigen Jahren manifestiert sich die Kastanienkrankheit durch immer stärkeren Befall von unterschiedlichen Pilzen wie dem Austernseitling oder dem Samtfußrübling, berichten Dirk Dujesiefken und Oliver Gaiser vom Institut für Baumpflege in Hamburg: „Inzwischen ist die Entwicklung dieser Krankheit so stark, dass man von einem Rosskastanien-Sterben sprechen muss.“
Rosskastanie adé?
Die Wissenschaftler haben das Ausmaß der Plage untersucht und befürchten, dass ganze Bestände wie zum Beispiel Alleen in Gefahr sind. Die Krankheit entwickle sich in Deutschland so rasant, dass der größte Teil der Rosskastanien in den kommenden fünf Jahren abgestorben sein könnte. Ein wirksames Heilmittel gibt es bisher nicht. Nur in seltenen Fällen hat ein Baum genügend Abwehrkraft, um dem Bakterium trotzen. Dann schließen sich die Wunden in seiner Rinde wieder.
Erfüllen sich die Hiobsbotschaften, könnte der Rosskastanie ein ähnliches Schicksal drohen wie der Ulme: Die mitteleuropäischen Arten hat eine durch den Ulmensplintkäfer verbreitete, aus Ostasien eingeschleppte Pilzkrankheit an den Rand des Aussterbens gebracht. Während der letzten Welle dieses Ulmensterbens fielen in den 1970er Jahren allein in England 20 Millionen Bäume der Krankheit zum Opfer – rund 70 Prozent des ursprünglichen Bestandes.
Daniela Albat
Stand: 28.10.2016