Am 25. September 2005 bricht unter den Füßen von Dereje Ayalew die Welt auseinander. Der Geophysiker schreit zu seinen Kollegen rüber, die sich trotz der Vibrationen mit aller Mühe auf den Beinen halten. Das Beben schleudert Wüstensand durch die Luft und erschüttert die Wissenschaftler.
Die Erde reckt und streckt sich, bäumt sich auf – und zerreißt ihre steinerne Haut. Der Boden birst auseinander und ein Riss jagt durch die felsige Steinwüste, öffnet sich zu einem Spalt, später zu einer Kluft. Am Ende der Erdbeben-Salve wird sie 1,80 Meter breit sein und bis zu 60 Meter tief die Erdkruste aufspalten.
Die Wissenschaftler der Universität von Addis Ababa sind gerade Zeugen geworden, wie ein Kontinent auseinander bricht. In wenigen Sekunden ist ihnen ein geologischer Prozess durch Mark und Bein gegangen, der sonst Jahrmillionen dauert.
Stetig tauchen ozeanische Platten unter Kontinente ab oder schieben kollidierende Erdmassen ganze Gebirge auf – in einem Tempo, das im Vergleich zu einem Menschenleben fast einem Stillstand gleicht. Bis sich plötzlich Spannungen durch einen Ausbruch Luft machen, der die trügerische Stille zerreißt. Ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch, ein Felsrutsch oder eben ein Riss in der Erde, der ein äußerst seltenes Spektakel ankündigt: Das Auseinanderbrechen eines Kontinents.
Innerhalb des folgenden Monats haben 163 Erdbeben in der Afar-Senke hunderte von Spalten geöffnet. Teilweise ist der Boden um über 100 Meter abgesunken und die Erde ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Der Graben zieht sich auf dem Kontinent, gespickt mit Erdspalten, Vulkanen und blutroten Seen, von Äthiopien am Horn von Afrika bis nach Süden zum Sambesi in Mosambik.
Die Erforschung einer Baustelle
Bereits 1883 entdeckte der deutsche Naturforscher Gustav Fischer ein riesiges zusammenhängendes Tal von Tansania bis Kenia. Der Wiener Geologe Eduard Sueß war es dann 1891, der erstmals die gesamte Länge des Tales vom Roten Meer bis zum Sambesi als eine gewaltige Bruchspalte in der Erdkruste erkannte. Die Kontinentalkruste war aufgebrochen und die Oberfläche mittig so eingesackt, dass ein Graben mit flachem Talboden sich über 6.000 Kilometer durch Afrika zog.
Mit Beginn des neuen Jahrhunderts wurde nicht nur die Geologie als Wissenschaft immer populärer, auch neue Instrumente machten bislang unvorstellbare Messungen möglich. Ab den 1970ern hatten die Wissenschaftler in der Afar-Senke eine ständige seismische Forschungsstation aufgebaut, die den Graben ständig überwachte.
Am 6.Januar 1978 kratzten die Zeiger ohne Pause steile Kurven auf das Papier: Innerhalb von 24 Stunden erschütterten 900 Erdstöße die Region. Vom Hubschrauber aus sahen Geophysiker, wie ein Riss den Boden blitzartig über mehrere Kilometer spaltete und knapp zwei Meter weit öffnete. Sofort schoss Magma mit etwa 80 Stundenkilometern aus der Spalte und breitete sich zu allen Seiten aus. Gleichzeitig wuchs vor ihren Augen in minutenschnelle ein Vulkankrater empor.
Alte Fragen – Neue Antworten?
Damals stellten sich die Forscher die Frage, wie wohl das Magma und die Bewegung der Erdplatten miteinander zusammen hingen. Drückte das aufquellende Magma die Platten auseinander, um dann an die Oberfläche steigen zu können? Oder rissen unbekannte Kräfte den Kontinent auseinander und gaben dem Magma so erst den Platz aufzusteigen?
Bis heute suchen die Wissenschaftler nach dieser Antwort. Dereje Ayalew und seine Kollegen aus Addis-Abeba haben in Zusammenarbeit mit Tim Wright von der Universität Oxford aus Satellitenbildern und GPS-Daten Computer-Modelle mit bislang ungeahnter Genauigkeit errechnet. Seit der Veröffentlichung im März 2006 ist in der Zeitschrift „nature“ nachzulesen, nicht nur warum Afrika in zwei Teile gerissen wird, sondern auch die ersten Vermutungen, welche Rolle dabei die Magma-Ströme im Erdinneren spielen.
Stand: 25.08.2006