Trotz Gesundheitsbedenken wurde Amalgam aufgrund seiner günstigen Verarbeitungseigenschaften nach dem zweiten Weltkrieg jahrzehntelang unangefochten, als einzige und billigste Alternative im Kampf gegen kariöse Zähne eingesetzt. Millionen von Deutschen wurden so zu Amalgamträgern – ohne über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt zu werden. In Deutschland wurden noch Anfang der 90er Jahre jährlich etwa 20 Tonnen Quecksilber zur Amalgamherstellung verbraucht. Berichten der Bundesregierung zufolge sind 1989 circa 37,8 Millionen Amalgamfüllungen gelegt worden. Über 90 Prozent der Deutschen waren so mit den Amalgamplomben ausgestattet.
Ein Werkstoff in der Kritik
Seit Mitte der 80er Jahre geriet der Werkstoff jedoch zunehmend in die Kritik. Seine möglichen Gefahren führten in zahlreichen Ländern zum Verbot. So ist die Verwendung von Amalgam in Singapur und in der ehemaligen UdSSR seit Mitte der 80er Jahre untersagt. In Japan wird Kunststoff von den Krankenkassen höher vergütet, so dass die Zahnärzte kein Amalgam mehr verwenden. Schweden ist 1999 aus der Nutzung ausgestiegen, da Amalgam von den Krankenkassen nicht mehr gezahlt wurde.
In Deutschland indes wurde der Füllstoff vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen noch in den 90er Jahren als Regelversorgung für Kassenpatienten vorgeschrieben. Zahnärzte, die umdachten, ihre Patienten über die Risiken von Amalgam aufklären und mit alternativen Werkstoffen versorgten, sahen sich oft seitens der kassenärztlichen Vereinigung durch Diziplinarverfahren bedroht. Hilfe kam schließlich vom Bundessozialgericht. Dieses beurteilte die Richtlinien zur Regelversorgung als rechtswidrig – jedoch nicht wegen möglicher gesundheitlicher Gefahren durch das Amalgam, sondern da sie die ärztliche Therapiefreiheit einschränkten.
Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die Krankenkassen alternative Zahnfüllstoffe zahlen. Für die Versorgung der Zähne mit Kunststoff, Gold oder Keramik muss der Patient tief in die Tasche greifen. Das Bundessozialgerichts entschied: Patienten haben keinen Anspruch darauf, ihre umstrittenen Amalgam-Zahnfüllungen wegen gesundheitlicher Probleme – mit Ausnahme einer Quecksilber-Allergie – auf Kosten der Krankenkassen austauschen zu lassen.
Produktion und Auslieferung von Amalgam eingestellt
Während in Deutschland Regierung, Gesundheitsbehörden und Krankenkassen trotz Gesundheitsbedenken unverdrossen am Problemstoff Amalgam festhalten, hat die Industrie schon längst reagiert. Schon im Dezember 1993 stellte die Firma Degussa, bis dahin größter Amalgamhersteller Deutschlands, die Produktion und Auslieferung von Amalgam ein. Andere Amalgamhersteller wie Heraeus und Procter & Gamble folgten. Die Industrie erkannte schon früh, dass der umstrittene Füllstoff bald unprofitabel werden könnte.
Zudem fürchteten die Hersteller eine Flut von Klagen gesundheitlich Betroffener, die erhebliche Schadensersatzforderungen nach sich ziehen würden. So verwundert auch der Zeitpunkt des Ausstiegs der Degussa nicht. Er erfolgte ein halbes Jahr nachdem im Juni 1993 die Desowag, eine Tochtergesellschaft der Bayer AG, in erster Instanz vor dem Frankfurter Landgericht den "Holzschutzmittel-Strafprozess" gegen mehrere Betroffene verloren hatte.
Stand: 21.05.2002