Heyerdahl jedoch ist überzeugt von der Besiedlung Polynesiens aus Südamerika und beschließt die Sache selber in die Hand zu nehmen. Nach Vorgaben uralter Überlieferungen lässt er im peruanischen Hafen Callao ein Floß bauen, das den Namen Kon-Tiki tragen soll. Er achtet darauf, dass vor allem junge Stämme verwendet werden, denn die werden nicht so schnell vom Meerwasser durchtränkt.
Noch im Jahr 1947 ist das primitive Vehikel fertig und Heyerdahl sticht am 28. April mit fünf Begleitern – samt und sonders ohne größere seemännische Erfahrung – in See. Mit Unterstützung des Humboldt-Stroms und der vorherrschenden östlichen Winde will er die rund 7.000 Kilometer lange Reise zu den Inseln Polynesiens bewältigen. An Bord stapeln sich die Vorräte. Auch viele wissenschaftliche Instrumente und vor allem genügend Trinkwasser gehen mit auf die Reise ins Ungewisse.
Die Crew lässt sich bei ihrem Vorhaben auch von den Kassandra-Rufen der Behörden und der Marine vor Ort nicht entmutigen, die ein baldiges Scheitern der Expedition und den Tod aller Crew-Mitglieder vorhersagen. Und siehe da, das Floß erweist sich von Anfang an als viel hochseetauglicher als man selbst erhofft hatte. Bis aber die Mannschaft alle Tricks und Kniffs beherrscht, um das Floß sicher zu manövrieren, vergeht einige Zeit. Immer wieder gerät die Kon-Tiki dadurch in brenzlige Situationen, die sie nur mit viel Glück heil übersteht. Ein Verbindung zur Außenwelt besteht nur über das mitgenommene Funkgerät.
Als eine Art Tischlein-Deck-Dich bei der Versorgung der Männer erweist sich im Laufe der Zeit das Meer. Immer wieder findet die Besatzung am frühen Morgen so viele Fische an Deck, dass sie nicht einmal mehr die Angeln auswerfen muss, um an frische Nahrung zu kommen. Als gutes Trinkwasser langsam zur Neige geht, haben sie sich schließlich bereits soweit nach Westen vorgekämpft, um ihren Durst aus den ergiebigen Regenfällen in der Region stillen zu können.
Land in Sicht – nach etwas mehr als drei Monaten gibt es für die Kon-Tiki und ihre Besatzung schließlich Grund zum Feiern. Die Atolle des Tuamotu-Archipels sind es, die da am Horizont auftauchen und zum Symbol für den Triumph Heyerdahls werden: Die polynesische Inselwelt ist erreicht. Der Abenteurer hat der Welt und vielen argwöhnischen Zeitgenossen bewiesen, dass die Einwohner Südamerikas tatsächlich schon vor tausenden von Jahren die Mittel besaßen, um über den Pazifik bis nach Polynesien zu gelangen. Und auch die Besiedlung Polynesiens von Südamerika aus ist zwar damit nicht bewiesen, zumindest aber in den Bereich des Möglichen gelangt. Müssen die Geschichtsbücher schon bald neu geschrieben werden?
Nun, die Besatzung der Kon-Tiki hat bei aller Euphorie über das erreichte Ziel, erst einmal andere Probleme zu lösen. Gefährliche Riffe behindern das Anlanden. Schließlich strandet die Kon-Tiki auf einem der gefährlichen Korallen-Bauwerke des Raroia-Atolls und die Besatzung hat alle Hände voll zu tun, um sich auf einer nahen Insel in Sicherheit zu bringen. Als sie endlich sicheren Boden unter den Füßen haben, ist Zeit eine aus Südamerika mit gebrachte Kokospalme als Zeichen ihres Erfolgs einzupflanzen.
Ein französisches Schiff befreit die Crew der Kon-Tiki schließlich aus ihrem „Robinson-Dasein“. Es nimmt sie und ihr Floß an Bord und bringt sie nach Tahiti – die von Heyerdahl so ungeliebte Zivilisation hat die Expeditionsmitglieder wieder eingeholt. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt allerdings nicht. Ausgerechnet ein norwegischer Ozeanriese liegt dort gerade vor Anker und bringt den Landsmann und seine Kollegen auf direktem Weg in die USA.
Dort werden sie von der Weltpresse und der amerikanischen Öffentlichkeit begeistert empfangen. In Windeseile erlangen die erfolgreichen Abenteurer Kultstatus und weltweite Berühmtheit. Aus dem angeblichen Phantasten ist im Handumdrehen die Koryphäe unter den Entdeckern des 20. Jahrhunderts geworden.
Stand: 01.01.2003