Bis zu eine Million Obdachlose warten nach dem Wirbelsturm „Nargis“ in diesen Tagen in Myanmar auf Hilfe – sauberes Trinkwasser, Nahrung, Hilfsunterkünfte. Zurzeit gehen die Behörden davon aus, dass der Zyklon bis zu 80.000 Todesopfer gekostet haben könnte. Rund 5.000 Quadratkilometer Land stehen unter Wasser. Tausende Leichen liegen auf den Straßen oder schwimmen nach der Überflutung ganzer Dörfer im Wasser. Die Bedingungen vor Ort sind ausgesprochen günstig für die Ausbreitung von Stechmücken. Die Angst vor Seuchen nimmt täglich zu.
Erst durch diese Naturkatastrophe wird der Welt bewusst, unter welchen Bedingungen die Menschen in Myanmar bisher gelebt haben – mit einer Militärregierung, die im Katastrophenfall scheinbar nicht dazu in der Lage oder nicht willens ist, der Bevölkerung internationale Unterstützung zukommen zu lassen. Viele Hilfsorganisationen beklagen lautstark die mangelnde Kooperation der Militärs, die die Ausstellung von Visa für Rettungskräfte verzögern und Helfern den freien Zugang in die Krisengebiete verweigern.
Dass ausgerechnet Myanmar, das frühere Burma oder Birma, derart heftig von einem verheerenden Wirbelsturm wie „Nargis“ getroffen wurde, könnte ein Vorgeschmack auf die kommenden Auswirkungen des Klimawandels sein. Denn besonders politisch und wirtschaftlich schwache Staaten werden in Zukunft unter den Folgen der globalen Erwärmung und den damit einhergehenden Naturkatastrophen zu leiden haben – so wie Myanmar in diesen Tagen.
Jahrzehntelanger Bürgerkrieg
Wirbelsturm „Nargis“ hat ein Land getroffen, das seit Jahrzehnten von einem Bürgerkrieg zerrissen ist, dessen Ursachen bis in die vorkoloniale Zeit zurückreichen. Schon vor der Unabhängigkeit Myanmars von den britischen Kolonialherren im Jahre 1948 machten die birmanischen Könige mit Waffengewalt ihren Herrschaftsanspruch in dem Gebiet deutlich. Die Birmanen stellen im Vielvölkerstaat etwa 60 Prozent der Einwohner, während der Rest aus mehr als einhundert ethnischen Minderheiten besteht. Die Briten förderten früher die Stärkung der einzelnen Minderheiten.
In den ersten Jahren der Unabhängigkeit führten die Konflikte unter den ethnischen Gruppen dazu, dass die demokratisch gewählte Regierung eigentlich nur in der Hauptstadt und einigen größeren Städten des Landes die Kontrolle hatte. Im Jahre 1962 putschte sich schließlich das Militär an die Macht. Seit dem bestimmt eine Junta die Geschicke des südostasiatischen Landes.
Kein Budget für Gesundheit und Bildung
Die „International Crisis Group“ bezeichnet den Krieg in Myanmar als einen der am längsten andauernden Bürgerkriege überhaupt: „Keine einzige Regierung hat das Land je komplett kontrolliert, Jahrzehnte der Isolation und des Missmanagements haben eines der ärmsten Länder weltweit hinterlassen. Das Militär hat alle anderen Institutionen vernachlässigt, inklusive aller Behörden, des Rechtsystems, der Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft. Für Gesundheit, Bildung und soziale Entwicklung gibt es quasi kein Budget.“
Erst im August und September 2007 sind Tausende buddhistische Mönche und Studenten in Myanmar auf die Straße gegangen, um gegen die Militärdiktatur zu protestieren. Der Aufstand wurde jedoch mit Waffengewalt niedergeschlagen. Dennoch gehen Experten davon aus, dass Veränderungen anstehen, die die Junta nicht mehr verhindern kann.
Abstimmung trotz Katastrophe?
Schon seit 1993 wird in Myanmar über eine neue Verfassung diskutiert – das Referendum über die Anerkennung des im vergangenen Jahr vorgelegten Entwurfs soll eigentlich am 10. Mai 2008 stattfinden. Bisher bleibt die Militärregierung dabei, den Termin trotz der Wirbelsturm-Katastrophe einzuhalten – nur in den Katastrophengebieten und in größeren Städten wird es wohl eine Verschiebung um zwei Wochen geben.
Dass sich die Militärjunta nun dazu entschlossen hat, auf internationalen Druck und gezwungen durch die verzweifelte Lage nach dem Zyklon, das Land zumindest für Hilfsleistungen zu öffnen, sehen manche Experten als Chance. Die Katastrophe hat die Aufmerksamkeit auf Myanmar gelenkt, die Empörung über das Abschottungsverhalten der Junta ist groß.
Es ist nicht auszuschließen, dass der Wirbelsturm „Nargis“ und die durch ihn ausgelöste humanitäre Katastrophe zu einem politischen Wandel in einem geschwächten Militärregime führen. Letztendlich könnte dies sogar einen demokratischen Entwicklungsschub in Myanmar zur Folge haben – das jedenfalls hoffen viele Beobachter.
Stand: 09.05.2008