Kaum hatten die Verbraucher in Deutschland die Kunstkäse-Schummeleien ansatzweise „verdaut“, wartete Anfang Juli 2009 schon die nächste Lebensmittel-Trickserei auf sie. Dieses Mal ging es jedoch nicht um Käse, sondern um Fleisch – für viele nach wie vor das wichtigste Lebensmittel überhaupt.
Betroffen war vor allem Schinken. Davon gibt es eine ganze Menge verschiedener Sorten, die je nach Herstellungsart etwa als Kochschinken, luftgetrockneter Schinken, Räucherschinken, Lachsschinken oder Nussschinken in den Handel kommen. Ihnen allen gemein ist, dass sie einen sehr hohen Fleischanteil – in der Regel 80 Prozent und mehr – und nur wenig Wasser enthalten.
Mogel-Schinken auf Wasser- und Stärkebasis
Das, was hessische Lebensmittelkontrolleure jedoch zwischen 2006 und Juli 2009 in mehr als zwei Drittel aller Proben aus Restaurants und Gastwirtschaften fanden, hatte mit den normalen Konsumentenvorstellungen eines ordentlichen Schinkens kaum noch Ähnlichkeit. Denn dabei handelte es sich um Produkte, die aus einem großen Anteil schnittfesten Stärke-Gels bestanden, in das lediglich kleine Fleischstückchen eingebettet waren. Mit anderen Worten: viel Wasser, wenig Fleisch – also genau das Gegenteil von dem, was einen Schinken auch laut Gesetz eigentlich ausmacht.
„Üble Verbrauchertäuschung“
„Die Abweichungen sind oft so groß, dass die Verwendung der Bezeichnung Schinken auch in Wortverbindungen und mit einschränkenden Erläuterungen nicht geeignet ist, den Verbraucher hinreichend zu informieren. Das ist üble Verbrauchertäuschung“, sagte denn auch der hessische Agrarstaatssekretär Mark Weinmeister am 3. Juli im Hessischen Rundfunk. Gesundheitsschädlich ist ein solcher Mogel-Schinken aber nicht.
Hessen steht mit dem Problem Gelschinken aber nicht alleine da. Auch aus anderen Bundesländern sind mittlerweile ähnliche Fälle bekannt geworden. So haben die amtlichen Lebensmitteltester in Bayern 2007 einen „Rekordschinken“ entdeckt – allerdings auf der Negativskala. In der Probe wurde nur ein Fleischanteil von gerade mal 38 Prozent gemessen. Auch sonst sind die Zahlen aus Bayern alles andere als ermutigend: In den letzten 15 Jahren ist dort der Fleischgehalt der verschiedenen Schinkenprodukte von durchschnittlich deutlich über 80 Prozent auf unter 60 gesunken.
Was die allgemeine Verbreitung betrifft, gibt es demnach verblüffende Ähnlichkeiten zwischen dem Gelschinken und Analogkäse. Das belegen auch Untersuchungen in Supermärkten, bei denen die Schinken-Imitate etwa auf Tiefkühlpizzen oder in Nudelspezialitäten gefunden wurden.
Politiker machen ernst
Längst haben die Behörden – auch auf Vorschlag von Verbraucherschützern – zu drastischen Maßnahmen gegriffen, um das Problem in den Griff zu bekommen. So wird in Hessen jeder Gastwirt oder Restaurantbesitzer namentlich im Internet veröffentlicht, wenn er zum zweiten Mal mit Schinken- oder Käseimitaten in den Speisen ohne entsprechende Kennzeichnung auffällt.
„Wir machen Ernst, denn es handelt sich hierbei nicht um ein Kavaliersdelikt. Wer Mogelschinken ohne ausreichende Kennzeichnung in Verkehr bringt, begeht zumindest eine Ordnungswidrigkeit. Bei nachgewiesenem Vorsatz liegt sogar eine Straftat vor“, nennt Weinmeister drohende Konsequenzen.
Ein Kleber für „Fleisch-Puzzle“
Seine Hausaufgaben gemacht hat zudem wie es scheint auch das Europa-Parlament. Denn dieses lehnte die Zulassung von Thrombin als Lebensmittelzusatzstoff mit knapper Mehrheit ab. Das Enzym von Schweinen oder Rindern wird ebenfalls dazu verwendet, wertlose Fleischreste zu einem zumindest optisch einheitlichen Fleischprodukt zusammen zu basteln. Nach Ansicht der Parlamentsabgeordneten können solche „Fleisch-Puzzles“ eine Irreführung der Verbraucher darstellen. Damit ist entsprechender Vorschlag der EU-Kommission bis auf Weiteres auf Eis gelegt.
Keimbefall droht
„Die Verbraucher in Europa sollten darauf vertrauen können, dass sie ein echtes Steak oder einen echten Schinken kaufen und nicht Fleischstücke, die zusammengeklebt wurden“, so der Vorsitzende des Umweltausschusses, Jo Leinen (SPD). Hinzu kommt, dass aus Sicht der Parlamentarier auch massive Gesundheitsgefahren drohen. So ist das Klebe-Fleisch besonders anfällig für krankheitserregende Mikroben. Grund: Das Zusammenfügen wird in kaltem Zustand, ohne Zugabe von Salz und ohne eine anschließende Erhitzung durchgeführt. Daher kann nach Angaben der Abgeordneten die Sicherheit des Endprodukts nicht garantiert werden.
Trotz der Erfolge beim Verbraucherschutz bleiben zumindest zwei Fragen offen: Sind Analog-Käse und Klebe-Schinken Einzelfälle? Oder stimmt bei uns etwas grundsätzlich nicht in der Lebensmittelbranche?
Dieter Lohmann
Stand: 26.11.2010