Die Protagonisten der Quantified-Self-Bewegung haben sich das Motto „Knowledge through Numbers“ auf die Fahnen geschrieben. Sie sind fasziniert von den neuen technischen Geräten und den mit ihnen verbundenen Möglichkeiten zur Selbstvermessung, der Selbst-Verwissenschaftlichung und datengestützter Selbst-Erkenntnisse.
Rosinenpicken und Mogeln
Doch geht es den Self- Trackern wirklich um Selbst-Erkenntnis im eigentlichen Sinne? Untersuchungen zufolge scheint der Großteil der Nutzenden damit etwas anderes zu verbinden. Darauf weist auch ihr konkretes Verhalten hin: Die Mehrheit der Self-Tracker kontrolliert und überwacht lediglich einzelne Parameter, darunter insbesondere Blutdruck und Blutzucker, die primär dem Erhalt der Gesundheit dienen. Oder sie beobachten konkrete, als problematisch erachtete Verhaltensweisen wie das Rauchen, zu wenige Schritte oder zu fettes Essen, um diese zu verändern oder bessere Verhaltensweisen zu initiieren.
Wie die französische Ethnologin Anne-Sylvie Pharabod und ihr Team feststellten, sind die Self-Tracker ihrer Studie weit davon entfernt, sich vollständig den Daten zu unterwerfen. Auch ihre Praktiken der Datenerhebung sind oftmals weder rigide noch unerbittlich. Die Self-Tracker manipulieren vielmehr die erhobenen Zahlen oder sie wählen bewusst aus, was gemessen werden soll und was nicht: Man suspendiert, was zu deprimierend ist, man misst nur das Positive, man mogelt.
Schnell wieder aufgegeben
Hinzu kommt: Viele Nutzerinnen und Nutzer stören sich offenbar so sehr an den Geräten – und vielleicht auch deren Ergebnissen, dass sie die Vermessungspraxis nach kurzer Zeit wieder aufgeben. So bescheinigte das Beratungsunternehmen Endeavour Partners im Jahr 2014 den Self-Tracking-Praktiken eine erstaunlich schlechte Nachhaltigkeit: Ein Drittel der US-Amerikaner, die ein „Wearable“ gekauft haben, hat es innerhalb von sechs Monaten entsorgt. Von den zehn Prozent, die einen Fitness- und Activity- Tracker besitzen, nutzt nur noch die Hälfte das Produkt.
Das heißt: Die Tendenz zur Quantifizierung und Verobjektivierung mit technisch generierten Körperdaten wird von den Akteuren durch einen eigensinnigen Umgang mit den Daten und Geräten ergänzt, wenn nicht gar konterkariert. Pharabod schlussfolgert, dass Self-Tracker keinen kalten, berechnenden oder verdinglichenden, sondern eher einen wohlwollenden Blick auf sich werfen: Die Nutzenden haben das gute Gefühl, sich als Subjekte zu verhalten, die Sorge um sich tragen.
Stefanie Duttweiler und Robert Gugutzer / Forschung Frankfurt
Stand: 14.08.2015