Am 7. Dezember 1995 wurde der Jupiter zum Tatort eines vorsätzlichen Mordes. Das Opfer war allerdings kein Mensch, sondern ein weitgereistes Stück Technik: die Tochtersonde des Raumschiffs Galileo. Motiv dieser von langer Hand geplanten Tat: Die Sonde sollte in die Atmosphäre des Jupiter eindringen und so lange es ging Daten über Zusammensetzung, Temperaturen und Druck liefern.
Obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht viele direkte Messungen über die Bedingungen unterhalb der sichtbaren Wolkenbänder existierten, war klar: Die Sonde konnte diesen Ausflug nicht überleben. Denn so wie im Inneren der Erde Druck und Temperatur mit zunehmender Tiefe ansteigen, ist dies auch in der Atmosphäre des Jupiter der Fall – nur um Größenordnungen stärker. „Eine erfolgreiche Probenmission in die Jupiteratmosphäre zu bringen ist, mit Ausnahme eines Eintritt in die Sonne selbst, die größte Herausforderung im Sonnensystem“, erklärt Alvin Seiff, leitender Wissenschaftler der Probenmission später in einem Interview. Auch ihm war klar, dass selbst der Hitzeschild und die verstärkten Komponenten der Sonde ihr nicht lange helfen würden.
Eintritt in die „Hölle“
Schon beim Eintritt in die Atmosphäre flog die Sonde wie gegen eine Wand aus Gas: Von 170.000 Kilometer pro Stunde wurde sie schlagartig auf nur noch 3.000 Kilometer pro Stunde abgebremst. In diesen Sekunden wirkten bis zum 250-fachen der Erdbeschleunigung auf das Projektil ein, in der Stoßwelle entstanden Temperaturen von rund 16.000° Celsius. Der Hitzeschild aus Karbonmaterial wurde dadurch fast komplett abgetragen.
Am Nullniveau – der Höhe, in der der Druck in der Jupiteratmosphäre einem Bar und damit etwa dem der Erdatmosphäre bei Normalnull entspricht – begann die Sonde ihre Messungen und sank dabei immer weiter ab. 50 Kilometer unter Nullniveau registrierten ihre Instrumente gewaltige Stürme: Fallwinde, Turbulenzen und Jetstreams beschleunigten das Gas auf mehr als 500 Kilometer pro Stunde. Dass diese Windgeschwindigkeiten erreicht werden, ist keine große Überraschung, denn die mit Teleskopen schon von der Erde sichtbaren Wolkenbänder und Flecken des Gasriesen und das Wissen um seine extrem schnelle Rotation ließen dies erwarten.
Rätsel der fehlenden Edelgase
Die Zusammensetzung der Gashülle war allerdings anders als gedacht: Zwar fand sich wie erwartet reichlich Wasserstoff – es sind fast 90 Volumenprozent in den oberen Schichten – , dazu kamen Spuren von Methan, Ammoniak und einfachen organischen Verbindungen. Aber von den Edelgasen Helium und Neon registrierten die Sondeninstrumente viel zu wenig. Gerade einmal rund zehn Prozent Helium und nur wenige Promille von Neon maßen sie.
Das passte nicht zu den Modellen, die eine ähnliche Elementverteilung wie im ursprünglichen Sonnensystem und auch in der Sonne selbst vorhersagten. Doch statt einem Sechshundertstel der Gesamtmasse schien Neon beim Jupiter nur ein Sechstausendstel auszumachen. Die Ergebnisse ließen nur eine plausible Erklärung zu: Der Gasriese ist offenbar sehr viel weniger homogen aufgebaut als angenommen. Struktur und Elementverhältnisse in der Tiefe des Jupiter jedoch blieben vorerst ungeklärt.
Jupiter als „Doppelgrab“
Rund eine Stunde nach Eintritt in die Atmosphäre und auf einer Höhe von rund 160 Kilometern unter Nullniveau, brach der Funkkontakt zur Galileo-Probensonde endgültig ab. Die letzten Daten, die sie übermittelte, zeigen einen Druck von 22 Bar und eine Temperatur von 152°C. Doch damit war die Reise der Sonde noch nicht zu Ende. NASA-Forscher gehen davon aus, dass bei ihrem weiteren Absinken zunächst der Fallschirm, dann die Aluminiumteile geschmolzen sind. Einige Stunden später war die Hitze in der Umgebung der Sonde so weit angestiegen, dass das Aluminium verdampfte, noch einmal vier Stunden und viele Höhenkilometer später schmolzen auch die widerstandsfähigeren Titanteile.
Rund zehn Stunden nach Eintritt der Sonde in die Jupiteratmosphäre war nichts mehr von ihr übrig. Bei einem Druck von 5.000 Bar und einer Temperatur von 1.700°C waren auch die letzten Komponenten verdampft. Acht Jahre später, im September 2003, fand auch die Muttersonde, der Galileo-Orbiter, ihr Ende im Herzen des Gasriesen. Nach dreimaliger Verlängerung der Missionsdauer und einer reichen Ausbeute an Daten aus dem Jupitersystem war die Sonde kaum mehr funktionsfähig und drohte, auf dem Jupitermond Europa abzustürzen. Da dort unter der Eiskruste ein Wasserozean mit möglicherweise sogar einfachen Lebenformen vermutet wird, wäre dies eine fatale Kontamination gewesen. Deshalb lenkten NASA-Techniker auch sie in die Jupiteratmosphäre und ließen sie dort verglühen.
Nadja Podbregar
Stand: 01.07.2016