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„Ötzi starb an einer Arterienverletzung“ verkündete im Juni 2007 ein italienisch-schweizerisches Forscherteam, das den Iceman mit modernster Röntgentechnik untersucht hatte. Die Analyse der Multislice-Computertomografie (CT) Aufnahmen ergab eine Verletzung der rückseitigen Wand der linken Arteria subclavia – der Unterschlüsselbeinarterie – durch die schon früher entdeckte Pfeilspitze, die im Brustraum stecken geblieben war. Die Bilder offenbarten aber auch einen großen Bluterguss in den umliegenden Geweben.
Todesursache: Arterienverletzung?
Diese neuen Ergebnisse sowie ein Vergleich historischer und moderner Daten zur Überlebenswahrscheinlichkeit nach einer so schwerwiegenden Verletzung ließen nach Ansicht der Wissenschaftler nur einen Schluss zu: Der Mann aus dem Eis war von dieser Verletzung innerhalb kurzer Zeit dahingerafft worden.
„Ein solch klarer Nachweis einer tödlichen Gefäßverletzung an einem Körper aus dieser Zeit ist einmalig und hat im vorliegenden Fall zur Klärung dieses außergewöhnlichen Todesfalles beigetragen“, erklärte Dr. Frank Rühli vom Anatomischen Institut der Universität Zürich in der Fachzeitschrift Journal of Archaeological Science. In einem nächsten Schritt wollten die Forscher die nun besser erklärbaren Todesumstände sowie die Fundsituation des Mannes aus dem Eis weitergehend untersuchen. Dann konnte der Steinzeitkrimi Ötzi zu den Akten gelegt werden – so schien es zumindest.
…oder doch nicht?
Kaum zwei Monate später jedoch sorgte ein interdisziplinäres Forscherteam aus dem Wiener Archäologen Andreas Lippert, den Bozner Radiologen Paul Gostner und Patrizia Pernter sowie dem Gerichtsmediziner Eduard Egarter Vigl für neue Erkenntnisse um den Tod des Mannes vom Hauslabjoch. Nach ihrer Theorie ließ ein frontaler Angriff mit einem Schlag auf den Kopf Ötzi mit dem Rücken nach unten auf einen Stein fallen und ihn dort an den Folgen des Pfeilschusses und eines Schädel-Hirn-Traumas sterben. Die unnatürliche Körperhaltung rührte nach Ansicht der Forscher daher, dass sein Angreifer ihn noch vor der Leichenstarre auf den Rücken drehte und den Pfeil aus der Schulter zog.
Die neuen Ergebnisse widersprachen damit früheren Annahmen, Ötzi hätte die unnatürliche Haltung im Schlaf eingenommen, die Leiche sei durch die Gletscherbewegung gedreht worden oder sie sei aufgetaut und über das Schmelzwasser an eine andere Stelle getrieben.
Kaltblütiger Mord?
Die Indizien legten nahe, dass es sich um einen Mord mit Vorsatz handelte. „Einen oder zwei Tage vor seinem Tod am Tisenjoch muss es zu einer ersten gewalttätigen Auseinandersetzung gekommen sein, bei der seine rechte Hand schwer verletzt wurde. Zwischen Daumen und Zeigefinger gibt es eine tiefe Schnittwunde. Auf der gesamten Körperoberfläche sind zudem zahlreiche Schnitt- und Rissverletzungen unterschiedlicher Form, Größe und Tiefe zu erkennen.“, so Lippert und seine Kollegen in der archäologischen Fachzeitschrift GERMANIA. Zunächst entkam Ötzi seinen Widersachern noch, später aber wurde er von ihnen vermutlich auf der Flucht erneut gestellt und dann getötet.
Die Wissenschaftler aus Österreich und Italien gründeten ihre neue Theorie nicht nur auf eine nochmalige gemeinsame Untersuchung der Fundposition, sondern auch auf computertomografische Befunde aus dem Jahr 2005 und auf neue forensische Daten. Ist damit das Rätsel um Ötzis Tod nun endgültig gelöst? Wer weiß. Dies werden vermutlich erst die nächsten Jahre zeigen.
Stand: 30.11.2007