Die folgende Anekdote liegt schon ein paar Jahre zurück: romantischer Abend, azurblauer Dämmerungshimmel. »Da, schau, der Abendstern!«, sagt sie. »Das ist die Venus …«, sage ich. »Aber die Venus ist doch der Morgenstern«, gibt sie zurück. »Der Morgenstern ist der Abendstern, und außerdem ist er überhaupt kein Stern.« Ich hätte mir das sparen sollen und einfach nur sagen: »Ja, schööön!«
Schon in prähistorischer Zeit, auf unserer guten alten Erde, muss Venus am Nachthimmel jenen bekannt gewesen sein, die bewusst nach oben schauten. Sie ist das hellste Gestirn nach Sonne und Mond, ein Juwel für jeden Naturbeobachter – dank ihres hohen Rückstrahlvermögens des Sonnenlichts. Aber wie es eben mit einer solchen Schönheit ist, zeigt sie sich nicht einfach so und einfach jederzeit.
Kreisende Bahnen
Die Venus, von der Sonne aus gesehen nach Merkur der zweite Planet, ist ein innerer Planet, will heißen, sie zieht innerhalb der Erdbahn ihre Kreise um die Sonne. Und apropos Kreis: Mit einer Exzentrizität von weniger als einem Prozent ist es tatsächlich beinahe ein Kreis! Sie ist also, von der Erde aus beobachtet, immer nahe der Sonnenscheibe, mal links, mal rechts, und wenn die Sonne noch nicht aufgegangen oder endlich untergegangen ist, dann wird Venus für ein paar Stunden in der Dämmerung sichtbar. Die Diva erscheint.
In der Himmelsmechanik nennt man ihren Winkelabstand von der Sonne die Elongation. Steht Venus in ihrer größten östlichen Elongation, kann man sie als Morgenstern bis zu viereinhalb Stunden am östlichen Himmel leuchten sehen, bevor es zu hell wird. Befindet sie sich in größter westlicher Elongation, gilt dasselbe für die Abenddämmerung, bis Venus selbst untergegangen ist; dann heißt sie im Volksmund auch »Abendstern«. Und apropos Volksmund, der bei Diven ja auch eine große Rolle spielt: Noch im klassischen Altertum war, obwohl die Gelehrten es längst besser wussten, der Glaube verbreitet, bei Eosphorus und Hesperus handle es sich um zwei unterschiedliche Gestirne. Kleines Räuspern: Auch heute ist dieser Glaube noch zu finden, tun wir dem hellenischen Pöbel nicht unrecht!
Stand: 22.04.2005