Genetik

Motor der Evolution

Wie unser Genom uns zum Menschen machte

Es ist ein Mysterium der Evolution: Wir unterscheiden uns genetisch kaum von unserem nächsten Verwandten, dem Schimpansen – unsere Gene stimmen zu 98,7 Prozent überein. Trotzdem entwickelten unsere Vorfahren zahlreiche Fähigkeiten und anatomische Unterschiede, die sie immer weiter von ihren äffischen Verwandten entfernten. Aber wie?

SChimpanse
Was unterscheidet uns genetisch vom Schimpansen, unserem nächsten Verwandten? © photomaru/ thinkstock

Wo liegen die Unterschiede zum Affen?

An diesem Punkt kommt der Teil unserer DNA ins Spiel, der außerhalb der proteinkodierenden Gene liegt. Lange als „Junk-DNA“ missachtet, erweist sich diese Ansammlung von Steuerelementen und Genkopien als evolutionäre Schlüsselregion. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler in diesen DNA-Regionen zahlreiche Abschnitte identifiziert, die sich zwischen Mensch und Menschenaffe unterscheiden.

Einer dieser Abschnitte in der Junk-DNA könnte eine entscheidende Rolle für unsere Hirnentwicklung und vor allem unser Vorderhin gespielt haben: „Das menschliche Vorderhirn hat nach der evolutionären Trennung von Mensch und Schimpanse an Größe und Komplexität zugenommen und eine neue Ebene kognitiver Funktionen hervorgebracht“, erklärt Pia Johansson von der Universität Lund in Schweden. Deshalb haben sie und ihr Team im Jahr 2021 gezielt die für das Vorderhirn zuständigen Gene und deren Steuerelemente in der Junk-DNA verglichen.

Das Ergebnis: Ein für die Hirnentwicklung wichtiges Gen namens ZNF558 wird bei Schimpansen durch die Junk-DNA abgeschaltet. Der regulierende Abschnitt dafür ist bei den Menschenaffen deutlich länger als bei uns Menschen. Im menschlichen Genom führt eine Verkürzung dieses Schalters hingegen dazu, dass er nicht mehr funktioniert und das Gen ZNF558 daher aktiv bleibt, wie Johansson und ihre Kollegen feststellten. Als Folge entwickelt sich das Vorderhirn bei menschlichen Embryos weiter als bei den Schimpansen.

Mit HAQERs wurden wir zum Menschen

Inzwischen sind viele weitere solcher Unterschiede bei wichtigen Steuerelementen unseres Genoms bekannt. 2022 identifizierte ein Team um Riley Mangan von der Duke University 1.500 regulierende Abschnitte in der Junk-DNA, die sich die sich nach Aufspaltung der Linien von Schimpanse und Mensch vor rund 7,5 Millionen Jahren besonders rapide verändert haben. Diese HAQERs (Human Ancestor Quickly Evolved Regions) getauften DNA-Regionen gehören zu den am schnellsten entwickelten des menschlichen Genoms.

DNA und Gehirn
Einige im Laufe unserer Evolution veränderte Abschnitte unserer Junk-DNA regulieren wichtige Gene für die Hirnentwicklung. © kirstypargeter/ Getty images

Diese HAQERs haben dem genetischen „Betriebssystem“ unserer Vorfahren einige Schalter hinzugefügt, die Menschenaffen nicht besitzen. Die neu entwickelten Steuerelemente kommen vor allem bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns, des Magen-Darm-Trakts und von Teilen des Immunsystems zum Einsatz. Außerdem ermöglichen es uns diese neu erworbenen Genschalter, uns besonders flexibel an Umweltveränderungen anzupassen. „Dabei scheinen sie Gene sehr spezifisch einzuschalten. Sie tun dies nur in bestimmten Zelltypen und auch nur zu bestimmten Entwicklungszeiten. Oder sogar nur, wenn sich die Umwelt in irgendeiner Weise verändert“, erklärt Mangans Kollege Craig Lowe.

„Brutstätte“ neuer Gene

Doch die Junk-DNA spielt für unsere Evolution noch eine weitere Rolle: Diese nichtkodierenden Abschnitte sind eine „Brutstätte“ neuer Gene. In ihnen bilden sich im Laufe der Zeit durch Mutationen und Neuarrangement von DNA-Abschnitten immer wieder sogenannte offene Leserahmen – Vorläufer für neue proteinkodierende Gene. Viele dieser Genvorläufer verschwinden schnell wieder, wenn sie dem Organismus keine Vorteile bringen. Aus einigen entwickeln sich jedoch voll funktionstüchtige Gene, wie Vergleichsanalysen im Jahr 2018 ergaben.

„Damit haben wir auch eine Erklärung dafür, wie grundlegend neue Eigenschaften entstehen können. Allein durch punktuelle Veränderungen der genetischen Struktur ist das nämlich nicht erklärbar“, erklärt Erich Bornberg-Bauer von der Universität Münster. Damit ist klar: Die Zwischenräume zwischen unseren Genen sind alles andere als nutzlos. Sie sind stattdessen integraler Teil unserer genetischen Ausstattung und wichtige Akteure der Evolution. Und auch in vielen Gentests spielen diese nicht-kodierenden Genabschnitte heute längst eine Hauptrolle.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

DNA – der Code des Lebens
Doppelhelix, Junk-DNA und was uns zum Menschen macht

Happy Birthday DNA!
Wie zwei "Clowns" die Wissenschaft revolutionierten

Die Sprache der Gene
Transkription und Translation der DNA

Vom Schrott zum Steuerpult
Das Geheimnis der vermeintlichen "Junk-DNA"

Motor der Evolution
Wie unser Genom uns zum Menschen machte

Der DNA-Test
Von molekularer Kriminalistik bis zum Vaterschafts-Nachweis

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