Die Wurzeln vieler Landschaftsformen und geologischer Phänomene liegen nicht in der Erdkruste, sondern viel tiefer – im Erdmantel. Er ist mit 82 Prozent des Gesamtvolumens der Erde nicht nur die dickste Schicht des Erdinneren, in vieler Hinsicht ist er auch eine der spannendsten. Denn obwohl der Erdmantel die Grundlage nahezu aller Vorgänge an der Erdoberfläche darstellt, ist er in vieler Hinsicht bis heute rätselhaft – und immer für eine Überraschung gut.
Sein oberster Bereich ist noch eher „unauffällig“: Er ist fest und bildet zusammen mit der Erdkruste die harte äußere Schale unseres Planeten, die Lithosphäre. Auch die tektonischen Platten umfassen daher sowohl Krusten- als auch Mantelanteile. Darunter, meist zwischen 30 und 100 Kilometern Tiefe, wird es spannend: Denn hier beginnt die Asthenosphäre. Sie umfasst den oberen Bereich des Erdmantels bis in eine Tiefe von rund 200 Kilometern. In Messungen mit Erdbebenwellen wirkt dieser Mantelbereich wie eine gigantische Bremse: Die Sekundärwellen kommen hier kaum vorwärts, werden zum großen Teil absorbiert.
Weich und fließend, aber nicht flüssig
Aber warum? Die Erklärung liegt in der besonderen Beschaffenheit dieser Schicht: Trotz der enormen Hitze von ein paar hundert bis zu 3.500 Grad Celsius an seiner Untergrenze ist der Mantel keineswegs flüssig. Stattdessen sorgt der hohe Druck dafür, dass die Gesteine einen Zwischenzustand einnehmen: Sie sind zwar fest, aber plastisch und verformbar. Sogar langsames Fließen ist in diesem Zustand möglich.
Und genau dieses Fließen und Strömen, die Konvektion, ist der Motor für einige der prägendsten Prozesse der Erde. Ohne diese gewaltige Umwälzströmung im Untergrund gäbe es weder Erdbeben noch Vulkane, und auch viele Inseln wie Hawaii existierten nicht. Angetrieben wird Konvektion durch Wärmeunterschiede. Erwärmt durch die enorme Hitze im unteren Erdmantel steigt heißes Magma nach oben. An einigen Stellen wie den mittelozeanischen Rücken gelangt es bis an die Erdoberfläche. Hier breitet es sich seitlich aus, kühlt jedoch auch ab. Dabei erhöht sich auch seine Dichte. An den Rändern, am weitesten entfernt von den Bereichen des Aufsteigens, sinkt das Gestein wieder in die Tiefe und wird dabei allmählich aufgeschmolzen.
Eine Theorie wird abgelöst
Diese dynamische Kreisbewegung, so glaubte man bisher, steuert auch die Bewegungen der tektonischen Platten an der Erdoberfläche: Sie werden einfach von dem unter ihnen ablaufenden Strom mitgezogen. Warum allerdings die Wanderungsgeschwindigkeiten der Platten jeweils so unterschiedlich sind, war bisher nur in Teilen klar. Im Juli 2010 stellte dann eine neue, in „Science“ vorgestellte Theorie der Geodynamik die bisherige Vorstellung quasi auf den Kopf – und lieferte endlich eine Erklärung für die rätselhaften Geschwindigkeitsunterschiede.
Wissenschaftler verschiedener amerikanischer Forschungseinrichtungen unter Leitung von Wouter Schellart von der Monash Universität hatten dieses neue Modell der Plattentektonik mit Hilfe von Beobachtungsdaten und Computermodellen entwickelt. Erstmals zogen sie dabei in Betracht, dass bestimmte Erscheinungen nicht in allen Größenordnungen gleichverteilt auftreten, sondern in bestimmten Bereichen „Knoten“, lokale Häufungen, bilden können. Für die Plattentektonik bedeutet dies, dass eine Platte umso langsamer wandert und subduziert wird, je kleiner sie ist. Damit ist nicht die Geschwindigkeit der Mantelströmungen, sondern die Größe der Subduktionszonen der entscheidende Faktor, für die Geschwindigkeit der Plattenbewegung.
Top-Down statt Bottom-Up
„In gewisser Hinsicht ist die Erdoberfläche der Ausdruck der Dynamik des Erdinneren, aber jetzt wissen wir, dass die Platten selbst den Prozess stärker kontrollieren als der darunterliegende Mantel“, erklärt Dave Stegman von der Universität von Kalifornien in San Diego. „Das bedeutet, dass die Erde viel mehr ein ‘Top-down’-System ist, als es der bisherigen Vorstellung entspricht, nach der die Plattenbewegung vorwiegend von unten heraus angetrieben wird.“
Diese Entdeckung erklärt, warum die Australische, die Nazca- und die Pazifischen Platten sich bis zu vier Mal schneller bewegen als die Afrikanische, Eurasische und die Juan de Fuca Platte. „Es liefert auch Erklärungen für die Bewegungen der alten Farallon-Platte, die zwischen Nord- und Südamerika in den Mantel absinkt“, erklärt Schellart. „Diese Platte verlangsamte ihre Ostwärtsbewegung von zehn Zentimetern pro Jahr vor 50 Millionen Jahren auf nur noch zwei Zentimeter heute.“ Die Ursache dafür ist eine Verkleinerung der Subduktionszone von einer Breite von 14.000 Kilometern auf nur noch 1.400.
Nadja Podbregar
Stand: 06.08.2010