Die Hindus glauben ein Bad im Ganges reinigt ihre Seele. Doch mit dieser Waschung setzen sie ihre Körper einer hochgradigen Verseuchung aus. Denn das Wasser des Ganges ist keineswegs rein. Im Gegenteil der heilige Strom zählt zu den sieben am stärksten gefährdeten Flüssen der Welt. Er schluckt täglich mehrere hundert Millionen Liter Abwässer, die zuvor nur selten Kläranlagen durchlaufen.
Die Verschmutzungsfaktoren sind genauso vielfältig wie das Leben am Fluss. So dient der Ganges den 400 Millionen Menschen, die in seinem Einflussbereich leben, als Badewanne, zum Wäschewaschen, als Müllkippe für den privaten Abfall und schließlich auch als Friedhof. Tausende von Leichen werden allein in Varanasi jedes Jahr verbrannt und die Überreste dem heiligen Fluss übergeben. Dass bei dieser Akkordarbeit ein großer Teil des Toten nicht gänzlich verbrannt wird, sondern noch als halbe Körper durch den Ganges treiben, stört die gläubigen Hindus nur wenig. Leprakranke, Kinder und Sadhus sind zudem von der Feuerbestattung ausgeschlossen und werden mit Steinen beschwert direkt im Fluss versenkt.
Zu all diesen Belastungen kommen die Industrieabwässer, die in den vergangenen Jahrzehnten ständig weiter zugenommen haben und ebenfalls direkt in die Flüsse gelangen. Besonders die am Mittellauf des Ganges weit verbreitete Leder- und Stofffärbe-Industrie leiten ihre Chemikalien in den Fluss, darunter krebserregendes Chrom.
Der Ganges ist somit hoffnungslos mit Abfall überfrachtet und notorisch sauerstoffarm. Dieser Mangel wirkt sich vor allem auf den Fischbestand im Fluss aus, der sich immer weiter reduziert. Viele Arten, wie zum Beispiel der Ganges-Delfin, sind vom Aussterben bedroht.
In früheren Jahren war der heilige Fluss für seine legendäre Absorptionsfähigkeit bekannt. Doch inzwischen ist die Belastung soweit vorangeschritten, dass eine eigene Kompensation unmöglich wird. Bereits vor knapp 20 Jahren erregten Meldungen über den langsamen Tod des Ganges Aufsehen. Der Fluss stand vor dem biologischen Kollaps.
Die indische Regierung stellte daher 1985 den National River Action Plan auf. In der ersten Phase sollten 27 Städte entlang des Flusslaufes Kläranlagen erhalten, insgesamt mit einer täglichen Leistung von 900 Millionen Liter Abwässersäuberung. Ab 1993 sollten in der zweiten Phasen auch alle Zuflüsse des Ganges so gereinigt werden. Obwohl umgerechnet bisher 250 Millionen Mark investiert wurden, bezeichnen Umweltschützer das Programm als großen Flop. Nur ein Drittel der angestrebten Menge fließt bis heute durch Kläranlagen und viele Anlagen sind defekt oder einfach nicht in Betrieb, da dafür keine finanziellen Mittel bereitstehen. Nach wie vor fehlt der politische Wille, mit aller Entschlossenheit das Problem anzugehen. Durch die Initiative von Umweltschützern geht es nun in einer neuen Stufe des Ganges Rettungsplans darum, die bereits existierenden Anlagen effektiver zu betreiben. Personalschulungen sind jetzt Pflicht.
Trocknet der Ganges aus?
Mit einer ganz anderen Bedrohung für den heiligen Fluss platzten Forscher pünktlich im Januar 2001 in das Pilgerfest Kumbh Mela. Das Abschmelzen der Eiskuppen im Himalaya könnte schon bald dramatische Folgen für den Ganges haben. So wäre es möglich, dass der heilige Fluss seine Lage ändert oder zeitweise ganz trocken liegt. Denn der Ganges erhält zwar während der feuchten Monsunzeit genügend Wasser aus Niederschlägen, im Frühjahr und Herbst ist er jedoch auf das Wasser vom Gangroti-Gletscher angewiesen. Und dieser wächst im Winter weniger, als er im Sommer schrumpft. Seit 1930 hat seine Länge von 25 auf 20 Kilometer abgenommen. Setzt sich die Gletscherschmelze fort, so könnten die Pilger schon bald im Trockenen sitzen.
Stand: 30.06.2001