Was löst einen Placebo-Effekt aus? Muss man fest an die Wirkung einer Behandlung glauben, um einen Placebo-Effekt zu erfahren? Jahrzehnte der Placebo-Forschung haben zumindest einige dieser Fragen geklärt – und teilweise überraschende Antworten geliefert. Relativ klar ist heute, welche psychologischen Mechanismen den Placebo-Effekt oder seine negative Kehrseite auslösen. Nach gängigem Wissensstand spielen dabei vor allem zwei Faktoren eine wichtige Rolle: die Erwartung und die klassische Konditionierung.
Die Erwartungen sind entscheidend
Ein klassisches Beispiel für ersteres: Freiwillige haben sich für einen Test der Schmerzempfindlichkeit gemeldet. Alle erhalten zuvor eine Creme, die auf ihrem Handrücken verstrichen wird. Der Hälfte der Probanden wird gesagt, dass es dies nur der Desinfektion dient, der anderen, dass es sich um ein starkes Betäubungsgel handelt. Prompt fallen die Reaktionen auf den folgenden Schmerzreiz ganz unterschiedlich aus: Glauben die Teilnehmer, ihre Hand wäre betäubt worden, empfinden sie subjektiv deutlich weniger Schmerzen – weil sie genau diesen Effekt erwarten.
Nicht immer aber sind es explizite verbale Informationen, die die Erwartungen prägen und den Placebo-Effekt fördern. Studien zeigen, dass schon die Wortwahl, der Tonfall oder der Gesichtsausdruck eines Arztes oder Experimentators ausreichen, um die Erwartungen und damit den Effekt zu beeinflussen. Selbst nicht bewusst wahrgenommene, unterschwellige Signale reichen für den Effekt aus.
Rote Pillen und erlernte Reaktion
Und auch die Art der Placebo-Behandlung spielt eine Rolle – weil auch sie unsere Erwartungen prägt: So wirken rote Placebo-Tabletten besser als weiße, eine Injektion besser als eine Pille und ein teures Scheinpräparat löst einen stärkeren Effekt aus als ein billiges. Schmeckt eine Arznei bitter, fördert dies ebenfalls die Placebo-Wirkung, wie Studien zeigen. Je mehr Umstand und Aufwand bei einer Therapie getrieben wird, desto besser wirkt sie – zumindest was den Placebo-Effekt angeht.
Verstärkt werden kann das Ganze noch durch den zweiten Auslöser, die klassische Konditionierung: Erhalten Schmerzpatienten zunächst eine Zeitlang ein wirksames Schmerzmittel, dann aber ohne ihr Wissen ein Placebo, hält die Schmerzlinderung bei vielen von ihnen trotzdem an. „Dieser Effekt, als pharmakologische Konditionierung bezeichnet, ist bei Schmerzen, aber auch anderen Krankheitsbildern sehr häufig“, erklärt die Placeboforscherin Luana Colloca von den US National Institutes of Health in Bethesda.
Auch wissentliche Placebos wirken
Lange Zeit dachte man, dass ein Placebo nur dann wirkt, wenn der Patient vom Schummel nichts weiß. Denn nur dann, so die gängige Theorie, bildet er die entsprechenden Erwartungen. Doch das stimmt nicht, wie der Placeboforscher Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School in Boston im Jahr 2010 mit einem aufsehenerregenden Experiment bewies. Darin hatten er und seine Kollegen die Placebowirkung bei 80 Patienten mit Reizdarm-Syndrom untersucht.
Eine Hälfte der Patienten erhielt keinerlei Medikament, die andere bekam ein Placebo – wissentlich. „Wir machten es nicht nur absolut klar, dass diese Pillen keinerlei aktive Inhaltsstoffe in sich trugen und aus komplett unwirksamen Substanzen bestanden, die Flasche war sogar ausdrücklich mit ‚Placebo‘ beschriftet“, berichtet Kaptchuk. Beide Patientengruppen wurden drei Wochen lang beobachtet und regelmäßig nach ihrem Zustand befragt.
Das Ergebnis überraschte selbst die Forscher: In der Placebogruppe berichteten doppelt so viele Teilnehmer über eine Verbesserung der Beschwerden wie in der unbehandelten. Das Ergebnis der Placebogruppe stimmte zudem fast genau mit den Erfolgsraten von Studien mit echten Wirkstoffen überein. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es mehr ist als nur positives Denken. Schon das medizinische Ritual scheint eine positive Wirkung zu haben“, so Kaptchuk.
Nadja Podbregar
Stand: 17.10.2014