Über Jahrhunderte war Teotihuacan ein führendes wirtschaftliches und politisches Zentrum Mittelamerikas. Ständig zogen mehr Meschen in die boomende Metropole, zu Spitzenzeiten könnte sie bis zu 200.00 Einwohner gehabt haben. Doch nach fast 500 Jahren der Dominanz begann im siebten Jahrhundert der Niedergang dieses mächtigen Reiches. Als die Azteken im 13. Jahrhundert diese Gegend erreichten, war Teotihuacan schon seit Jahrhunderten verlassen.
Aufstand gegen die Zentralregierung?
Was aber war geschehen? Lange vermuteten Archäologen, dass die Stadt Opfer einer Eroberung durch fremde Mächte geworden war. Als Indiz dafür galten Spuren von Bränden und Zerstörungen in vielen Prachtbauten entlang der Straße der Toten. Doch inzwischen scheint klar, dass die Bedrohung wohl nicht von außen kam: Es gibt keinerlei Hinweise für einen Krieg oder die Präsenz fremder Krieger, ihrer Waffen oder Projektile in den Ruinen.
Neuere Datierungen legen zudem nahe, dass einige Brände bereits aus der Zeit um das Jahr 550 stammen – sie ereigneten sich demnach mehr als 100 Jahre bevor die dicht besiedelte Metropole begann, sich zu entvölkern. Von dieser Zerstörung scheinen auch nur die Bauten der Elite im Stadtzentrum betroffen zu sein, nicht aber die Gebäude in den umgebenden Stadtvierteln.
Nach Ansicht von Linda Manzanilla von der Autonomen Nationaluniversität Mexiko spricht dies dafür, dass hier eher interne Konflikte am Werk waren als ein Angriff von außen. „Wir interpretieren dieses Ereignis als eine Revolte gegen die herrschende Elite, vielleicht als Reaktion auf eine späte Intervention des Staates gegen unternehmerische Bestrebungen der aufstrebenden Zwischenelite“, erklärt Manzanilla. Sie vermutet, dass die immer reicher und mächtiger gewordenen Zwischenhändler und lokalen Anführer der verschiedenen Stadtviertel gegen die Zentralregierung rebelliert haben könnten.
Waren Vulkanausbrüche schuld?
Eine weitere Erklärung für die möglichen inneren Konflikte und den Niedergang von Teotihuacan könnte eine Naturkatastrophe liefern: Im Jahr 536 und 540 gab es gleich zwei folgenschwere Vulkanausbrüche, die auf der gesamten Nordhalbkugel bis nach Mittelamerika hinein für eine Verschlechterung des Klimas sorgten. Der erste Ausbruch ereignete sich vermutlich auf Island, der zweite könnte vom Vulkan Ilopango in San Salvador verursacht worden sein – quasi in der Nachbarschaft von Teotihuacan.
In Europa lösten diese Eruptionen ein Jahrzehnt ungewöhnlicher Kälte und Nässe aus, das die Ausbreitung der Justinianischen Pest begünstigte und die Spätantike beendete. In Mittelamerika hatte vor allem der Ausbruch des Ilopango verheerende Folgen: Nach Ermittlungen von Forschern schleuderte der Vulkan seine Asche noch bis in 1.000 Kilometer Entfernung und machte ganze Landstriche für Jahre unbewohnbar. Von den Folgen betroffen waren damals vor allem die Maya im nahen Guatemala: Archäologische Studien zeigen, dass einige Maya-Städte vorübergehend verlassen wurden, Bautätigkeiten stoppten und viele Handelsrouten unterbrochen waren.
Missernten, Lieferengpässe und Rebellion
Aber auch für Teotihuacan könnte dieser Ausbruch schwere Folgen gehabt haben. Denn der gewaltige Moloch Teotihuacan und seine riesige Bevölkerung waren zu dieser Zeit fast vollständig von Nahrungsmittelimporten aus anderen Gebieten Mittelamerikas abhängig. Der Anbau von Mais, Bohnen, Amaranth oder Kürbissen im Umland der Stadt reichte nicht einmal ansatzweise, um die gesamte Population Teotihuacans zu ernähren.
Die Missernten im Mayareich und in anderen regionalen Zentren Mittelamerikas könnten dazu geführt haben, dass die Lieferanten Teotihuacans ihre spärlichen Vorräte lieber für sich behielten, statt sie an die Hauptstadt zu liefern. Als Folge breitete sich Hunger in der Stadt aus – als erstes unter den ärmeren Bewohner der multiethnischen Stadtviertel. Gestützt wird dies durch archäologische Ausgrabungen, in denen aus dieser Zeit vermehrt Gräber noch junger Toter mit Anzeichen für Unterernährung gefunden wurden.
Die Versorgungsengpässe und der Hunger wiederum könnten die inneren Konflikte verschärft und die einst so profitablen Strukturen dieser Gesellschaft geschwächt haben. Als Folge kam es einerseits zu Kämpfen, andererseits aber zu einer immer stärkeren Abwanderung der Menschen aus der Metropole.
Einzigartig selbst nach ihrem Ende
Auch wenn die Ursachen für den Niedergang Teotihuacans nicht eindeutig geklärt sind, die Konsequenzen waren einschneidend: Nachdem schon einige Zeit vermehrt Menschen abgewandert waren, kam es im Jahr 750 zum vollständigen Kollaps dieser Kultur und ihres Reiches: Noch einmal flammten Brände in vielen Teilen des Stadtzentrums auf und rund 80 Prozent der Stadtbevölkerung verließen die Metropole. Zurück blieben verlassene Monumentalbauten, leere Straßen und Häuser, die im Laufe der Jahrhunderte langsam verfielen.
Doch trotz ihres Niedergangs blieb Teotihuacan noch bis weit nach ihrem Ende einzigartig, wie Michael Smith von der Arizona State University betont. Denn sie war Jahrhunderte lang die einzige Stadt in Mittelamerika, die schon ein ähnlich modernes, durchgeplantes Stadtbild besaß wie die Großstädte unserer Zeit. Dies änderte sich erst gut 500 Jahre nach dem Ende Teotihuacans, als die Azteken einige dieser innovativen Prinzipien für ihre Hauptstadt Tenochtitlan kopierten.